Mit gleichberechtigter Gebärde

Zum Abschluss des Grenzenlos Kultur Festivals standen Pia Katharina Jendreizik und Pavel Rodionov in der Produktion „FLIRT“ von Wera Mahne auf der Bühne. Kurz davor haben wir uns mit ihnen und Gebärdensprachdolmetscherin Julia Cramer zum Gespräch getroffen über die Zusammenarbeit von tauben und hörenden Menschen, Gebärdensprache am Theater und Barrierefreiheit.

Worum geht es in “FLIRT”?

Rodionov: Das Thema ist häufig sehr mit Sexualität verbunden. In Wirklichkeit ist FLIRTen aber etwas, was viel mehr umfasst. Wir gingen das alles unvoreingenommen an und haben uns mit verschiedenen Flirtmöglichkeiten beschäftigt. Dadurch wollen wir Vorurteile und Vorstellungen darüber aufbrechen, was flirten ist.

Jendreizik: Es geht auch nicht nur um flirten, sondern auch um verschiedene andere Dinge, zum Beispiel Missverständnisse. Oder wie man aufeinander zugeht, wie man miteinander umgeht, solche Dinge.

Rodionov: Wir haben keinen vorliegenden Text verwendet, sondern versucht, das Leben darzustellen. Wir haben zum Beispiel auch Zuschriften oder Videos von verschiedenen Menschen durch eine Onlinerecherche erhalten und haben versucht, deren Erlebnisse und Erfahrungen im Bereich FLIRT einzubringen.

Pavel Rodionov und Pia Katharina Jendreizik in “FLIRT”, hier zusammen mit ihrer Kollegin Kathrin-Marén Enders (Mitte). © Holger Rudolph

Sie haben für das Stück Onlinerecherchen durchgeführt. Wie sahen die aus?

Rodionov: Wir haben eine Homepage erstellt, auf der man Erfahrungen in Form von Videos einreichen konnte. Dies war sowohl auf Gebärdensprache als auch auf Lautsprache möglich. Wir haben auch auf anderen Workshops darüber berichtet und sind an Leute herangetreten. Aber wir haben auch versucht, unsere schauspielerischen Erfahrungen einzubauen.

Wie sah der Probenalltag aus? Ist es schwierig, mit tauben und hörenden Menschen zusammen zu proben?

Jendreizik: Pavel kommt aus Russland, spricht also eigentlich russische Gebärdensprache. Als er hergekommen ist, musste ich ihm erst mal die deutsche Gebärdensprache (DGS) beibringen, damit er fließend gebärden konnte. Außerdem haben wir die hörenden Menschen dabei, deshalb gab es Dolmetscher*innen. Und eine Person, die hörend ist und deutsche Gebärdensprache kann. Wir waren also alle sehr gemischt und mussten gucken, wie wir das mit der Kommunikation umsetzen, aber wir haben uns da gut zusammengerauft. Wenn es gar nicht anders ging, haben wir uns mit Händen und Füßen verständigt. Dolmetscher*innen gab es immer nur bei der Probe. Wenn es da kommunikative Probleme gab, konnten die das auflösen.

Rodionov: Das hat wirklich gut geklappt mit der Kommunikation! Ich hatte das Gefühl, dass wir da gleichberechtigt alle zum Zuge gekommen sind. Für mich war es am Anfang tatsächlich ein bisschen schwierig, weil ich von DGS keine Ahnung hatte. Aber jetzt klappt das ganz gut. Schön finde ich, dass im Stück gar nicht viel gesprochene Sprache notwendig ist. Flirten ist etwas, was sehr visuell und körpersprachlich passiert, so dass dieser Umgang von Menschen miteinander einfach auch auf eine andere Art und Weise dargestellt werden kann.

Ist es eigentlich einfach, Dolmetscher zu finden, die während der ganzen Probenzeit vor Ort sind?

Jendreizik: Bei den Arbeiten mit Wera war es so, dass wir häufig mit Studenten zusammengearbeitet haben, die erst Gebärdensprachdolmetscher*innen werden, als eine Art Praktikum, eine Übungsmöglichkeit.

Rodionov: Ausgebildete Dolmetscher*innen sind einfach ein bisschen schwierig zu bekommen. Außerdem ist es auch immer eine Finanzierungsfrage. Bei Praktikant*innen steht weniger das Finanzielle im Vordergrund, sondern dass man Erfahrung sammelt und sich ausprobiert.

Die gesamte FLIRT-Mannschaft beim Mainzer Gastspiel: Pavel Rodionov, Kathrin-Marén Enders, Tümay Kilincel, Pia Katharina Jendreizik © Holger Rudolph

Wie sind Sie beide Schauspieler geworden?

Rodionov: In Russland habe ich fünf Jahre an der Universität studiert. Seitdem arbeite ich als Schauspieler.

Jendreizik: Ich habe zwei Berufe. Ich bin auch Gebärdensprachdozentin und durch die Regisseurin Wera Mahne zum Theater gekommen. Sie hatte mich eingeladen, bei einem ihrer Stücke mitzumachen. Ich mach das jetzt seit fünf Jahren.

Gebärdensprache und Lautsprache stehen in „FLIRT“ gleichberechtigt auf der Bühne. Wird allgemein genug dafür getan, dass die Gebärdensprache im Theater gleichberechtigt zur Lautsprache ist?

Rodionov: Ich muss Wera ein großes Lob aussprechen, dass sie diese Idee hatte, das Ganze so gleichberechtigt darzustellen. Da ist wirklich niemand einem anderen übergeordnet. Ganz gleich, wer spricht, ob gedolmetscht wird oder es Übertitel gibt – am Ende haben hörende und taube Menschen die gleichen Informationen. Es gibt ja manchmal Stücke, bei denen nur gesprochen wird und gar nicht gebärdet, und manchmal wird dann der Text als Übertitel eingeblendet oder auf eine andere Art und Weise gezeigt. Das ist dann etwas schwieriger, weil man eben, gerade als tauber Mensch, immer vom Bühnengeschehen weggucken muss.

Jendreizik: Die Sache mit der Gleichberechtigung ist sehr unterschiedlich, weil die Menschen verschiedene Haltungen und Perspektiven haben. Bei mir ist es bisher beim Theater so gewesen, dass ich häufig erlebt habe, dass es sehr viel Text gab, den man lesen musste und das liegt mir nicht so. Ich glaube auch, dass etwas verloren geht, wenn die Sachen parallel laufen. Aber es gibt auch andere Menschen, die nebenbei gerne die Übertitel lesen. Das kann man nicht verallgemeinern. 

Haben Sie bestimmte konkrete Vorstellungen im Kopf, als Schauspieler*in und Zuschauer*in, was man tun könnte, um das Theater im Bezug auf Barrierefreiheit besser zu machen?

Rodionov: Ich habe unterschiedliche Erfahrungen gemacht. In Russland gibt es am Theater viele Produktionen, in denen die tauben Schauspieler*innen gebärden und ein*e Dolmetscher*in das voiced (=parallel auf Lautsprache übersetzt), und ich denke, dass das auch ganz gut ankommt. Aber in einigen Fällen hat das nicht so gut geklappt. Das Problem ist die Frage, worauf man sich konzentriert: Schaut man den*die Dolmetscher*in an? Oder die Bühne? Für mich ist es auf jeden Fall eine größere Barrierefreiheit, wenn die Schauspieler*innen direkt involviert sind und es nicht gedolmetscht wird, sondern hörende und taube Schauspieler*innen gleichberechtigt in die Inszenierung integriert sind.

Jendreizik: In unserer Produktion ist Barrierefreiheit ja da, da ist nicht so wirklich was zu lösen. Vielleicht kann man das auch auf andere Theaterstücke übertragen. Ich weiß nicht, wie es mit Menschen mit anderen Behinderungen ist. Da gibt es natürlich noch andere Barrieren, die man im Auge behalten muss. Wir können natürlich nicht so richtig nachempfinden, wie es zum Beispiel mit der Barrierefreiheit für blinde Menschen ist und wie sie sich in unserem Fall umsetzen ließe. In Wera Mahnes Stück „Mädchen wie die” am Staatstheater Hannover haben einmal zwei blinde Frauen gesessen. Da habe ich mich gefragt, wie die beiden das überhaupt wahrnehmen können, dass dort ein Theaterstück stattfindet. Aber für sie gab es eine Audiodeskription, in der beschrieben wurde, wie das ganze visuell aussieht. Das war natürlich eine Barriere, die ich selber noch nicht so kannte. Aber dafür gab es dann auch eine Lösung. Und bei “FLIRT” haben wir noch keine Barrieren erlebt.

Mehr Info und aktuelle Vorstellungstermine unter: www.flirt-performance.de