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Was hat sich getan, seitdem das Festival Grenzenlos Kultur 1997 gegründet wurde? Ein Interview mit seinem Erfinder und Kurator Andreas Meder über Ortswechsel und Barrieren, theatrale Glücksmomente und die Professionalisierung der Disability Arts. Mehr nützliches Wissen über die Geschichte des Festivals gibt es heute Abend in der Kakadu-Bar: Bei einer Quiz-Show erzählt das Festivalteam aus 25 Jahren Festivalgeschichte.

Sie sind gekommen, um zu bleiben: “Democratic Disco”, 2018 beim Festival zu Gast. Foto: Holger Rudolph

 Transkription des Interviews (leicht bearbeitet)

Lucienne Ackerl: Danke, dass Sie sich Zeit genommen haben für das Interview. Ich habe ein paar Fragen mitgebracht. Als erstes möchte ich von Ihnen wissen, was sind die Erwartungen für dieses Jahr?

Andreas Meder: Ja, auch wenn es das 25. Festival ist und damit ein unglaubliches Jubiläum, mit dem nicht zu rechnen war, wollen wir so wie jedes Jahr erstmal ein sehr gutes, künstlerisch hochwertiges, abwechslungsreiches, spannendes Theaterfestival veranstalten und die Bedingungen sind dafür eigentlich ganz besonders gut, weil mit Glück und Geschick es gelungen ist, einige der absoluten Highlights, die man im Moment präsentieren kann, im großen Rahmen hier nach Mainz zu locken.

LA: Auch die Räume, in denen das Festival stattfindet, haben sich verändert: Lange fand es im KUZ statt, in diesem Jahr bespielen Sie drei verschiedene Spielstätten, auch in der Residenz und sowie im Schauspielhaus.

AM: Generell heißt es gerne, das Festival ist mit dem Umzug ins Staatstheater Mainz im Zentrum der Stadt angekommen, das empfinden wir so. Es hat dadurch ein anderes Standing. Am Anfang, im ersten Jahr, waren wir ja in der ganzen Stadt präsent, mit der Hybris des Berufseinsteigers. Ich hatte das Ziel, jeden Ort zu bespielen und noch ein paar dazu zu erfinden. Das hat auch damals funktioniert. Dann waren wir ein Jahr in den Mainzer Kammerspielen und sind dann für 14 Jahre ins KUZ umgezogen, und von dort mit dem Beginn der Intendanz von Markus Müller am Staatstheater in der Spielzeit 2014/15 sind wir erneut umgezogen und haben damit unseren Platz in der wichtigsten Bühne in Rheinland-Pfalz gefunden. Das ist auch eine Form der Wertschätzung.

LA: Das ist wirklich schön. Von den vielen Stücken, die Sie über die 25 Jahre gesehen haben: welches hat Ihnen am besten gefallen?

AM: Ich würde mehrere nennen, die alle auch aus der Anfangszeit herrühren, was damit zusammenhängt, dass natürlich auch die Umstände und die Wirkungen dieser Inszenierungen für mich im Rückblick von großer Bedeutung waren. Im allerersten Jahr hatten wir ein Stück, das hieß „Fast Faust“ von Blaumeier-Atelier aus Bremen. Da haben 70 Beteiligte mitgewirkt und dafür haben wir die Johanniskirche gewinnen können, die man jetzt quasi nur noch als musealen Raum kennt. Damals war es nur eine funktionierende evangelische Kirche. Wir durften diese drei Tage lang umbauen, haben dort ein riesiges Spektakel gezeigt vor zwei Mal 450 Leuten. Das ist unglaublich viel für die freie Szene. Darunter waren auch für uns wichtige Leute, die damalige Kultusministerin Rose Götte zum Beispiel. Das war für uns auch der Türöffner, um diese Art fortführen zu können. Wir haben ein Stück gezeigt, das mir nicht nur sehr gut gefallen hat und das mit dieser Menge an Menschen und überlebensgroßen Figuren einfach sehr beeindruckend war, sondern das auch für unseren weiteren Werdegang sehr wichtig war. Wir haben ja früher mit dem Kulturzentrum KUZ den Versuch unternommen, aus einer Partylocation mit einfachen Mitteln ein Theater zu machen und als eine Organisation der Behindertenhilfe, aber auch als Vertreter der freien Szene, wichtiges, etabliertes Theater nach Mainz zu holen. So hatten wir 2001 das Berliner Ensemble zu Gast mit der Inszenierung „Ein Bericht für eine Akademie“ von George Tabori, wo der stark körperbehinderte Darsteller und Medienwissenschaftler Peter Radtke die einzige Rolle, ja letztlich sich selbst gespielt hat. Eine Tabori-Inszenierung mit Peter Radtke im KUZ zu zeigen, das war für unser Selbstwertgefühl sehr wichtig. Als drittes Stück möchte ich „Lichtpulver“ vom Theater Maatwerk aus Rotterdam nennen, nach einer Kurzgeschichte von Gabriel Garcia Marquez, eigentlich ein Straßentheater. Wir haben es auch einmal drin gezeigt, aber im Wesentlichen auf den Mainzer Plätzen. Wir haben es sogar mehrmals eingeladen, weil wir es so toll fanden, und das war mit das Beste, was ich von einer Gruppe mit sogenannten “geistig behinderten” Darstellern eigentlich gesehen habe in all der Zeit.

LA: Hat sich hier in Mainz etwas verändert, seitdem das Festival hier ist? Wurden zum Beispiel Barrieren abgebaut?

AM: Das ist natürlich ein vielschichtiges Thema. Räumliche Barrieren werden immer weniger, weil es gesellschaftspolitisch erforderlich ist. Ich würde aber vor allem den Unterschied darin sehen dass, als wir 1997 begonnen haben, noch nie zuvor in Mainz in einem öffentlichen Rahmen mit öffentlichen Fördermitteln Künstler mit Beeinträchtigung auf einer Bühne standen. Wir sind da eingefallen auch mit vielen Künstlern aus ganz Europa, tagsüber saßen in den Straßencafé Menschen mit Downsyndrom, haben sich gefreut, da zu sein und andere zu treffen. Wir haben eine sehr gute Stimmung verbreitet und 25 Festivalausgaben später ist es selbstverständlich, dass Menschen mit Behinderung in Mainz auf einer Bühne stehen. Von daher hat sich da natürlich sehr viel getan, vor allem in der Akzeptanz und in der Selbstverständlichkeit, gar nicht mal so sehr, dass jetzt Barrieren abgebaut wurden, sondern dass man sich mehr auf Augenhöhe begegnet und das ist ja auch eine unserer Zielsetzungen.

LA: Was ist Ihnen in dem Rahmen des diejährigen Festivals am wichtigsten, auch für die Künstler*innen und Zuschauer*innen?

AM: Die Künstler arbeiten einige Monate hart, und wir bemühen uns um viel Geld, um tolle, aufwändige Produktionen hier zu präsentieren. Da wünschen wir uns natürlich erstmal, dass die Künstler den von uns erwarteten Erfolg hier auch haben und genießen können, dass sie von einem begeisterten Staatstheater-Publikum gefeiert werden. Das Publikum rückt in den letzten Jahren ja auch immer mehr in die Betrachtung, früher ging es uns eigentlich nur darum, Künstler mit Behinderung auf die Bühne zu bringen und wir spielten eigentlich für ein mehr akademisches Publikum. Jetzt unternehmen wir auch große Anstrengungen um Maßnahmen wie Barrierefreiheit für das Publikum zu realisieren, damit jeder, egal welche Einschränkung er haben könnte, an den Aufführungen teilnehmen kann. Von daher wünschen wir uns natürlich auch, dass sehr viele Menschen mit Beeinträchtigung als Zuschauer und Zuschauerinnen kommen und sie dann eben die entsprechenden Assistenzen auch bei uns erfahren, um bestmöglich an den Kulturveranstaltungen teilzunehmen.

LA: Gibt es noch etwas, was Sie den Menschen dieses Jahr mitgeben möchten, worauf Sie etwas mehr achten sollten oder generell über das Festival?

AM: Nein, grundsätzlich nicht. Wir machen jetzt seit einem Vierteljahrhundert inklusive Theaterfestivals, weil wir an die Kraft der inklusiven Kunst glauben, und wir hoffen, dass möglichst viele Leute kommen. Es soll immer ausverkauft sein, denn der Besuch ist letztlich der Dank für unsere Bemühungen und das Salz in der Suppe im Leben eines Veranstalters.

LA: Meiner Meinung nach hat sich wirklich vieles getan und ich habe auch viele schöne Rezensionen gelesen auf dem Blog. Ich wünsche dem Festival alles Gute für den Start und gutes Gelingen!

AM: Vielen Dank, dann hoffen wir gemeinsam. Ich freue mich auf ein intensives Festival.

Der Beitrag erschien auch beim Campusradio Mainz: https://campusradio-mainz.de/2023/10/18/grenzenlos-kultur-festival-2/