Unsere Festivalmomente 2023

12 Tage lang haben unsere diesjährigen sieben Blogger*innen der JGU Mainz das Festival Grenzenlos Kultur vol. 25 begleitet, mit Vorbericht, Interviews, Fachtagbericht und zahlreichen Kritiken. Was waren ihre schönsten, bemerkenswertesten Festival-Momente?

Für mich gehörte zu den schönsten Momenten des Festivals Aufführungen zu sehen, zu denen ich unter anderen Umständen wahrscheinlich nicht gegangen wäre. Denn so habe ich wieder etwas Neues gemacht, bin aus meiner Komfortzone herausgetreten und habe neue Seherfahrungen gesammelt. Ich werde unsere Gespräche vor und nach den Aufführungen vermissen, und unsere gewohnten Plätze in der letzten bzw. vorletzten Reihe des U17, die wir auch dann gewählt haben, wenn es freie Platzwahl gab. (Zsófia Dull)

Über die eineinhalb Wochen des Festivals gab es einige sehr schöne und beeindruckende Momente, welche mir sicherlich in Erinnerung bleiben werden. Am meisten beeindruckten mich gleich zwei Momente aus “Wer immer hofft, stirbt singen”. Hier beeindruckten mich zum einen der Drahtseilakt, bei welchem eine der Darstellerinnen (Johanna Kappauf) hoch in der Luft balancierte, um dort einen Monolog vorzutragen.

Die Darstellerin steht auf einem Drahtseil und trägt einen Monolog vor. Sie ist mit einem Klettergurt und zwei Seilen gesichert. Sie trägt einen schwarzen Anzug und einen lila Umhang. Es trägt ein Superheldenkostüm mit Umhang. Auf der schwarzen Leinwand im Hintergrund sieht man eine gezeichnete Figur, die auf das Bild "Angelus Novus" von Paul Klee verweist
Johanna Kappauf beim Seiltanz zum “Engel der Geschichte”-Monolog bei “Wer immer hofft, stirbt singend”, Foto: Holger Rudolph

Nachdem sie anfangs unsicher wirkte und einen Moment brauchte, um die nötige Sicherheit zu finden, ihre Performance überzeugend rüberzubringen, war der Effekt, den diese Szene auf mich hatte, umso größer. Sich nicht von Ängsten und Unsicherheiten unterkriegen zu lassen, sondern sich diesen zu stellen und sie zu überwinden! Der zweite Moment, der mir in Erinnerung bleibt, war das Auftreten der Superhelden aus dem Nebel. Während der Inszenierung wusste ich nicht genau, was ich daraus mitnehmen soll. Im Nachhinein öffnete sich mir allerdings ein Gedankengang: Häufig betrachtet man sich in gewisser Weise als Held der eigenen Geschichte. (Nico Boosfeld)

“Leben ist Performance und die Welt zu betreten heißt auch, eine Bühne zu betreten.” Ich teile das theatrale Selbstverständnis des Ensembles von tanzbar_bremen nicht nur angesichts meines existenzialistischen Weltzugangs, sondern erlebe ihre Welttheatermetaphorik auch in beispielloser Authentizität während der Aufführung von “Undressed”. Ich genieße die vielfältigen Entwürfe der Tänzer*innen besonders, weil sie von der Essenz eigener Welterfahrung erfüllt werden, statt bestehende gesellschaftliche Sehgewohnheit zu füllen. Die zugrundeliegende Selbstermächtigung befähigt die Tänzer*innen dazu, ihr Auftreten zu einem Ausdruck persönlichen Wohlbefindens zu erheben und sich dadurch der vereinnahmenden Reduzierung auf ihre Körper seitens der Zuschauenden zu entziehen. Der eleganten Art und Weise, wie und warum das Ensemble sich in einem wechselseitigen Akt des Sichtbar und Verletzlich Seins vor uns entblößt, haftet keine niederschwellige Erotik an, kein Anspruch zu befriedigen. Sie tanzen nicht für uns, sondern aus sich heraus. (Anna Drößler)

Im dunklen hinteren Bühnenraum zeichnen sich die Silhouetten einiger Ensemblemitglieder ab. Im beleuchteten vorderen Bühnenraum stehen von links nach rechts die Tänzer Till Krumwiede, Oskar Spatz und Tim Gerhards. Krumwiede steht mit geöffnetem Oberkörper nach vorn, sein Blick fällt auf die beiden anderen. Spatz und Gerhards stehen einander zugewandt. Gerhards linke Hand umfasst die rechte Hand von Spatz. Alle drei tragen knielange, weit fallende Kleider mit bunten Blumenmustern und Farbverläufen drauf. Gerhard trägt eine rote plüschige Clownsnase im Gesicht.
Till Krumwiede, Oskar Spatz und Tim Gerhards (von links) in “Undressed” von tanzbar_bremen, Foto: Holger Rudolph

Für mich gab es nicht den einen Festivalmoment. Viel mehr waren es für mich die Nachgespräche in der Kakadubar, die mir besonders in Erinnerung bleiben werden. Das Format “Auf ein Getränk mit…” gewährte den Festivalbesucher*innen ein Einblick in die Arbeiten der teilnehmenden Künstler*innen und Kollektive. (Lars Hördt)

Ich habe mich noch nie so wohl gefühlt, bei einem Festival dabei zu sein, wie es beim Grenzenlos Kultur vol. 25 der Fall war. Die Gespräche, die ich geführt habe mit den verschiedenen Künstler*innen und Personen vor Ort haben mir viel mitgegeben für mein weiteres Leben. Der schönste Festivalmoment war für mich: die Aufführung von “One of Two”, da ich das Stück sehr gut nachvollziehen konnte und ich Parallelen zu meinem Leben ziehen konnte.

 Jack Hunter steht mit dem Rücken zum Publikum. Sein Kopf ist gesenkt und er hält sich mit der rechten Hand an einem Stuhl fest
Jack Hunter in seiner Performance “One of Two”, Foto: Holger Rudolph

Ich habe noch nie so geheult, einfach weil ich mich endlich gesehen gefühlt habe. Ich werde das Festival mit diesen Worten von Jack Hunter in Erinnerung behalten: “How is the weather in your head?” Aber auch mit: “Mach doch bitte mal eine Pause” (von der Blogredaktion an mich gerichtet) und, am wichtigsten, “WO IST MAHFAM?” 🙂 (Lucienne Ackerl)

Meine Festivalmomente, an die ich mich erinnern werde, waren Anna Dujardin in der intensiven, intimen Arbeit TWOTFAM, welche noch länger in mir nachhallen wird, Tim Gerhards in der Choreografie “Undressed”, der zu Tschaikowskys “Tanz der Rohrflöten” tanzt und die Aufführung unter der Regie von J.-C. Gockel “Wer immer hofft, stirbt singend”, die fordernd, aber auch berührend war, darin vorkommend die beeindruckenden Marionetten von Michael Pietsch – z.B. das traurige, spuckende Lama oder der halbverweste Elefant. Das Zitat aus dieser Inszenierung, „Die Verwirrung in der Kunst sollte bestehen bleiben, damit neue Zusammenhänge entstehen können“, fasst für mich das Festival zusammen. (Hannah Dickescheid)

Pinkes und gelbes Scheinwerferlicht, blau angeleuchtete Nebelschwaden in der Luft, neongrüne Schaumstoffwürfel. Im Bühnenbild steht ein wasserspuckendes Marionetten-Lama, das Schauspieler Sebastian Brandes nass spuckt. Die Marionette wird bespielt von Michael Pietsch in glitzernder Tigerjacke und schulterlanger blonder Perücke.
Das wasserspeiende Lama in “Wer immer hofft, stirbt singend”, Foto: Maurice Korbel

Ein besonders schöner Festivalmoment war, als Jan-Christoph Gockel zu Beginn der Inszenierung  “Wer immer hofft, stirbt singend” alte Requisiten aus anderen Stücken und Puppen als Mitspieler*innen vorstellte. Viele im Publikum erkannten einiges wieder. Denn der Regisseur war von 2014 bis 2020 Hausregisseur am Mainzer Staatstehater, und man spürte, dass das Publikum ihn kannte und sich an seine Inszenierungen erinnerte. Es fühlte sich an, als wäre er wieder zu Hause. Ein weiterer schöner Moment war die Möglichkeit, dass wir während des Festivals jeden Abend gemeinsam Theater sehen konnten. Das eröffnete die Chance, viele Gesichter zu treffen und neue Freundschaften zu schließen, mit denen man über Theater sprechen konnte. Das hatte ich lange vermisst. Ein letzter sehr schöner Moment war das Nachgespräch mit tanzbar_bremen über ihr Stück “Undressed”, denn dabei gab es die Möglichkeit, dass alle Gäste einfach zusammen tanzten und sich so begegneten. (Mahfam Shoar Nozhat)