Kuss statt Kampf

Kampf? Nö: Kuss! © Marie Tollkühn
Kampf? Nö: Kuss! “Plötzlich Liebe” heißt die Episode von half past selber schuld © Marie Tollkühn

Das Hamburger Ensemble Meine Damen und Herren malt in “SCHWARZWEISS” mit starken Bildern fünf verschiedene Geschichten aus der Welt des Stummfilms

Wer ist der beste Kriegsroboter? Zwei von ihnen setzen an zum Kräftemessen. Die Menge jubelt! Auch ihre Erbauer, einer irdisch, der andere außerirdisch, feuern sie an. Ein erbitterter Faustkampf beginnt, danach werden die Klingen gekreuzt. Das Ergebnis: unentschieden. Nun soll das Handlazerbattle die Entscheidung bringen. Doch zwischen Lichtblitzen passiert, was niemand erwartet: ein tiefer Blick, ein Berühren, ein Kuss. Liebe entsteht, wo Gewalt herrschen sollte. Und schon beginnt die Hetzjagd auf das Roboterpaar.

“Schwarzweiss” der Hamburger Gruppe Meine Damen und Herren berichtet von Zusammentreffen, die gut oder böse enden. In fünf Episoden variieren fünf Regie- und Künstler-Teams (half past selber schuld, Katharina Oberlik, Julia Hölscher & Martin Hammer, Antja Pfundtner, Franz Rogowski) Stilmittel des Schwarzweißkinos. Die Begegnungen zeigen sich in großen Gesten, die man sofort mit dem Kino der 1920er Jahre assoziiert. Jedoch benutzt der Abend nicht immer das Stummfilmtypische, sondern erforscht einen neuen schwarzweißen Raum, in dem sich jeder Darsteller allein fließend bewegt und ihn zu erfahren versucht. Mit blassweiß geschminkten Gesichtern und scheinbar ohne Figurenbeziehung scheint manche Szene sehr kühl, bis sich zwei Suchende finden und sich an den Händen fassen.

© Marie Tollkühn
Roaaaarrr! © Marie Tollkühn

Die Macher präsentieren unterschiedlichste Auseinandersetzungen mit dem Stummfilm. Mal zeigen sich gewohnte Elemente wie Zwischentitel, verzerrte Kulissen und schräge Geschichten, mal verzichtet dieser Abend auf alles außer Bedeutungsbilder. Nur die Verbindungen zwischen den Menschen sind greifbar, der Rest erstarrt stumm.

Die Bühne bleibt dem Gegenstand treu: Auf schwarzem Grund verschieben sich weiße Quader und flexible Wandelemente zwischen den fünf Folgen des Abends immer wieder neu. Auf ihnen werden den Geschichten zugehörige Materialitäten projiziert. Mal beschränkt sich das auf einzelnes Erleuchten, mal verschmilzt die Bühne mit der Handlung und wird zum aktiven Mitspieler. So verfolgen zwei Wissenschaftler ihre Kreaturen in einem Zeichentrickauto, in das sie durch Öffnen zweier Quader einsteigen können. In verschiedenen weißen Kostümen fügen sich die Darsteller in die Szenerie. Einfachste Konflikte erzählen stellvertretend von größeren Zusammenhängen. Eine Person aus einem strengen Alltag des Eises und der Arbeit trifft auf einen herumirrenden Menschen aus Föhnen, der Wärme verbreitet. Die Liebesgeschichte zwischen den zwei Welten endet tragisch – das Eismädchen schmilzt.

So verschieden die Episoden, so verschieden scheint die Geschwindigkeit der dargestellten Geschichte. Hier reiht sich andächtige Tanzperformance an actionreichen Roboterkampf. Die teils langen Umbaupausen werden von einer bunten und trötenden Putzkolonne unterbrochen, die sich durch die Zuschauerreihen feudelt und das Publikum einmal richtig aufmischen.

© Marie Tollkühn
Die Kaiserin des Planeten Melmak © Marie Tollkühn

Wunderbar begleitet wird jede Szene, egal wie ernst oder comic-haft sie scheint, von den zwei Musikern Sven Kacirek und Carsten Schnathorst. An Klavier, Xylophon und Schlagzeug verleihen sie jeder Erzählung einen zusätzlichen Zauber. Ob Stimmungsmusik in quirliger Kneipenszene, atmosphärische Einspielungen von einem anderen Planeten oder beeindruckende Gesangseinlage – die Musiker bespielen die Märchen immer passend. Spätestens bei einer Interpretation von “I started a Joke” von den Bee Gees zu einem Bewegungskanon der Schauspieler wird klar, dass Musik hier ebenso Handlungsträger wie jeder Darsteller ist.

Phasenweise bleibt man etwas ratlos ob des episodischen Bühnengeschehens. Die Geschichten besitzen keine Dringlichkeit, die Handlungen scheinen neben der optisch beeindruckenden Durchführung eher nachrangig, mäandern teils ziellos durch den vor allem ästhetisch definierten Raum.

Zwischen Trauer, Selbstreflexion und ausgelassener Science-Fiction-Unterhaltung findet “Schwarzweiß” so eine Kombination, die teils fesselt, aber die Möglichkeiten der Idee nicht voll ausnutzt. Es bleibt die faszinierende Vision eines neuen, schwarzweißen Theaters, das keine Worte braucht.

Henriette Buss

Henriette Buss (21) studiert Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Mainz. Erste praktische Erfahrungen sammelte sie an der Freilichtbühne Eutin, am Theater Lübeck und am Staatstheater Mainz. Besonders interessiert sie Bühnenbildgestaltung und Musiktheater.