25 Jahre einmalig

Vor 26 Jahren fand das Festival Grenzenlos Kultur erstmals statt. Es sollte eine Plattform schaffen für unterschiedliche Künstler*innen und Ästhetiken, und es befragt bis heute die Wahrnehmung und die Sehgewohnheiten des Publikums. Im Podcast unterhalten sich die Bloggerinnen Lucienne Ackerl und Hannah Dickescheid über die Geschichte des Festivals, über Zugänglichkeiten und gesellschaftliche Ausschlüsse.

Viele Worte überlagern sich in der Projektion an der Bühnenwand und sind kaum noch lesbar.
Wortsalat – Begriffswand aus der Inszenierung “Quest”, Grenzenlos Kultur 2011, Foto: Holger Rudolph

Podcast Beitrag: Gekürzter Auszug aus dem Gespräch

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Hannah: Grenzenlos Kultur Festival. Seit wann gibt es das? Was war die Initiative?

Lucienne: Es ist das älteste Theaterfestival für behinderte und nicht-behinderte Menschen. 1997 wurde es als einmaliges Festival ins Leben gerufen, hat aber an Popularität und guter Resonanz gewonnen, sodass daraus ein Folgefestival entstanden ist.

Hannah: Wer hat das Festival ins Leben gerufen?

Lucienne: Andreas Meder, der auch aktuell noch Festivalleiter ist, wurde damals angefragt von der Lebenshilfe Kunst und Kultur gGmbH. Das Festival sollte eine Plattform schaffen für experimentelle und auch gesellschaftspolitische Tanz- und Theaterformen. Ich finde es schön, dass es mittlerweile eine so etablierte Fläche gibt. Gefördert wird das Festival von Aktion Mensch und dem Kultursommer Rheinland-Pfalz, dieser gibt meistens auch das Thema vor, unter dem das Festival steht.

Hannah: Was ist das diesjährige Thema?

Lucienne: Westwärts.

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Hannah: Was sind die wichtigsten Themenpunkte des Festivals? Und was steckt hinter dem Titel Grenzenlos Kultur? Das ist ein großer Aufhänger, eine schöne Wortzusammenstellung. Kannst du dazu was sagen?

Lucienne: Das Festival schafft eine Plattform für verschiedene Theater, Menschen und Kunstformen. Aus einem Interview mit Andreas Meder von 2012 habe ich erfahren, dass er das Festival so benennen wollte, damit es im Titel nicht gleich als ein Festival mit behinderten Menschen wahrgenommen wird. Das Wort „Grenzenlos“, weil Grenzen überschritten werden. Für mich gehört es zu Theater und Kunst, dass sie keine Grenzen haben.

Hannah: In diesem Zusammenhang ist Barrierefreiheit ein wichtiger Aspekt des Festivals und auch aus theaterwissenschaftlicher Perspektive interessant. Es soll nicht nur darum gehen, räumliche Barrieren abzuschaffen, sondern auch darum neue ästhetische Wege zu gehen. Zum Beispiel Antworten darauf zu finden, wie ich Barrierefreiheit ästhetisch integrieren oder auf Produktionsebene von Anfang an mitdenken kann.

Lucienne: Es gibt während des Festivals einige Angebote, die zur Barrierefreiheit beitragen sollen wie Gebärdensprache, Audiodeskription und Relaxed Performances. In einer Relaxed Performance werden beispielsweise alternative Sitzmöglichkeiten angeboten oder der Publikumsbereich wird nicht verdunkelt.

Hannah: Die Homepage des Festivals bietet da auch einige Möglichkeiten. Auswahl der Leichten Sprache, anpassbare Websitenoberfläche in Farbe und Textgröße. Kleinigkeiten, die, wie ich finde, eigentlich überall im Internetalltag vorhanden sein könnten. Neu für mich sind zum Beispiel die Offenlegung und Transparenz von barrierefreien Angeboten oder sogenannte Access Tools wie Tastführungen, Audiodeskription und Vor-Einlass. Dabei habe ich mich gefragt, was mir selbst davon schon bei Theaterbesuchen begegnet ist und ich muss sagen, sehr wenig. Was mir davon begegnet ist, sind Übertitelungen in der Oper oder Beschreibungen von Räumen und Wegen. Dabei ist mir auch nochmal klar geworden, dass konventionelle Regeln viele Barrieren mit sich bringen. Wie hast du das bisher wahrgenommen? Ich weiß, dass du dir viele Aufführungen hier im Staatstheater Mainz angeschaut hast, was denkst du darüber?

Lucienne: Es gibt von 2019 in Interview mit dem Chefdramaturg Jörg Vorhaben, in dem er darüber spricht, dass sich am Staatstheater Mainz noch viel verändern wird. Zum Beispiel wurde die Theke niedriger und somit rollstuhlgerecht umgebaut oder im Großen Foyer der Zugang zu den Fahrstühlen erleichtert. Es ist während des Festivals auch eine Arbeitsgruppe zum Thema Barrierefreiheit entstanden, die sich unter anderem mit dem Umgang von Barrierefreiheit im Rahmen von Theater auseinandersetzt.

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Hannah: In unserer eigenen kleinen Bubble haben wir eine einseitige Sichtweise auf Behinderung und Barrierefreiheit, da wir kaum Berührungspunkte haben, wenn wir keine betroffenen Personen im Freundes- und Bekanntenkreis oder in der Familie haben. Durch die Teilnahme am Seminar, innerhalb dessen wir mit dem Blog das Grenzenlos Kultur Festival begleiten, und die Beschäftigung mit dem Festival, habe ich Einblicke erhalten können, die über meine Bubble hinausgehen. Und ich merke auch hier in unserem Gespräch, dass ich noch viel stolpere, weil in meinem eigenen Sprachgebrauch Wörter wie „normal“, also die Abgrenzung „normale Menschen“, alltäglich sind. Ich stehe noch am Anfang meiner Beschäftigung mit dem Thema, da es noch nicht bei mir angekommen ist. Ich will versuchen mich zu informieren, wo der Diskurs gerade steht, wie Betroffene dazu stehen und was ich tun kann, was ich an mir ändern kann und in meinem Sprachgebrauch, um Unterstützung zu geben. Ich könnte mir vorstellen, dass es vielen Leuten so geht und es auch schambehaftet ist. Da sind noch einige Stolpersteine und ich finde es wichtig darüber zu sprechen, um einen Punkt zu finden damit anzufangen.

Lucienne: Auf der Seite leitmedien.de gibt es viele Anhaltspunkte und Wegweiser zu diesem Thema. Ich habe mich da unter anderem mit einer Tabelle beschäftigt, die sich mit Begriffen rund um Behinderung auseinandersetzt. Ich finde zum Beispiel, dass der Gebrauch von „normal“ und „nicht-normal“ im Alltag Grenzen zieht. Wo wir wieder bei grenzenlos sind. Grenzenlos wäre, wenn Menschen mit Behinderung selbstverständlich Zugang zu allen gesellschaftlichen Bereichen haben, was meiner Meinung nach noch nicht der Fall ist. Es wird immer noch ausgegrenzt.

 

Im Gespräch erwähnte Seiten zum Nachlesen und Weiterstöbern:

https://www.grenzenlos-kultur.de/

https://blog.grenzenlos-kultur.de/

https://www.lebenshilfe-kunst-und-kultur.de/

https://leidmedien.de/

https://campusradio-mainz.de/

Der Podcast ist auch über das Campusradio zu erreichen: https://campusradio-mainz.de/2023/10/18/grenzenlos-kultur-festival-2/