Ohne Worte und doch beredt

"Schwarzweiss" in Schwarzweiß – aber durchaus mit Action © Christian Martin
“Schwarzweiss” in Schwarzweiß – aber durchaus mit Action © Christian Martin

Am Dienstag gastiert das Hamburger Theater Meine Damen und Herren mit einer Hommage an die Stummfilmzeit: Was kann “Schwarzweiss”, was Farbe nicht kann?

Denkt man an die Ära der Stummfilme zurück, so sieht man verzerrte Bühnenbilder, weit aufgerissene Augen und düstere Geschichten vor sich. Trotzdem besitzt der Stummfilm eine eigene Schönheit und Anziehung. Er steht für sich als Kunstform. So ist es wenig verwunderlich, dass sich Filmemacher heutzutage dem Thema wieder zuwenden. Der Film “The Artist” des französischen Regisseurs Michel Hazanavicius etwa wurde mit diesem Rückgriff auf die tragische Ästhetik mit fünf Oscars ein Welterfolg.

Doch warum verzichtet man in Zeiten, da die technischen Möglichkeiten in Bild- und Tonaufnahmen unbegrenzt scheinen auf Farbe und Sprechtext? Hat ein Medium, in dem schon alles gesagt wurde, möglicherweise seine Sprache verloren?

Mit ihrem in fünf Episoden aufgefächerten Abend “Schwarzweiss” begibt sich das Hamburger Regie- und Künstler-Team Meine Damen und Herren auf eine Reise durch eine Welt ohne Worte. Dem deutschen Expressionismus der 1920er-Jahre entlehnt erzählen sie fantastische Geschichten voller Tragik und Selbstreflexion. Dabei ist der bedachte Einsatz von Musik unabdingbar. Die Musiker Sven Kacirek und Carsten Schnathorst bespielen die Szenen live und besorgen somit die Stimmungsmalerei im schwarzweißen Raum.

Das optische Vorbild ist offensichtlich: "Metropolis" von Fritz Lang ©
Das optische Vorbild ist offensichtlich: “Metropolis” von Fritz Lang © Christian Martin

Da in den frühen Jahren des Kinos eine synchrone Aufnahme von Bild und Ton nicht möglich war, wurden die Vorführungen schon damals live von Stimmungsmusik begleitet. Weitere Erklärungen zur Handlung boten Zwischentitel oder ein Filmerzähler. Doch das eigentliche Geschehen und die innere Befindlichkeit der Figuren musste über Gestik und Mimik der Schauspieler erzählt werden. In großen Gesten und stark geschminkten Gesichtern konnte man die Geschichten greifen. Das Schauspiel hatte eine andere Form: Es war körperbetonter, gestenreicher, eindeutiger – und vielleicht deshalb leidenschaftlicher.

Dies gilt natürlich nicht nur für die berühmten, dunklen Gruselerzählungen wie “Das Cabinet des Dr. Caligari” von Robert Wiene: Diese waren bestimmt von Darstellungen des Wahnsinns, der Angst und der Verzweiflung. Grotesk verzerrte Kulissen und weit greifende Düsternis boten den Hintergrund  für die furchtbarsten Horrorstories.

Dem Stummfilm waren keine Genre-Grenzen gesetzt. Betrachtet man die physische Komik der frühen Chaplin-Filme , lacht man über ein anderes Bild des Stummfilms – reinster Slapstick und dabei urkomisch. Trotzdem fehlte es Chaplins Figuren nie an Tiefe und den Filmen nie an einer Botschaft. Alles erkennbar, alles spürbar – auch ohne Worte. Nur wie?

Verband Komik mit menschlicher Tiefe: Charlie Chaplin in "Goldrausch"
Verband Komik mit menschlicher Tiefe: Charlie Chaplin in “Goldrausch”

Ohne Sprechen entsteht ein Dialog. Der Austausch erfolgt anders – in einer universellen Verständigungsweise. Der Stummfilm reizt durch eine Handlung, die deutliche Zeichen setzt, unabhängig von Sprachbarrieren. Jeder kann anhand der allgemeinen Zeichen mitlachen, mithoffen, mitfühlen – Sprachlosigkeit als neue Möglichkeit der Verständigung. Eine inklusive Kunstform, sozusagen.

“Schwarzweiss” beschäftigt sich unter anderem mit dem Zusammentreffen von Aliens und Erdenbewohnern und dem daraus ausbrechenden Schwierigkeiten. Probleme, die möglicherweise entstehen, weil man sich nicht der selben Sprache bedient und doch miteinander reden will. Nur ein außerirdisches Phänomen?

Wenn die Menschen sich nicht mehr verstehen, sollten sie vielleicht schweigen und einmal nur sehen. Meine Damen und Herren präsentieren uns mit “Schwarzweiss” ihre Intepretation eines stummen Verstehens. Schauen Sie hin!

“Schwarzweiss” wird im KUZ am Dienstag, 23. September, 20 Uhr

Henriette Buss

Henriette Buss (21) studiert Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Mainz. Erste praktische Erfahrungen sammelte sie an der Freilichtbühne Eutin, am Theater Lübeck und am Staatstheater Mainz. Besonders interessiert sie Bühnenbildgestaltung und Musiktheater.