Geschlossene Gesellschaft

„Dis Merci“ des kanadischen Theaterkollektivs Joe, Jack et John erzählt von einer vergifteten Willkommenskultur

„Oups!“ – schon ist Marc die Eierschale im Kuchenteig gelandet. Es knirscht, als er sie mit dem Kochlöffel zerkleinert. Halb so schlimm, der Kuchen wird den Geflüchteten schon schmecken. Marc hat gehört, dass einige von ihnen beim Versuch gestorben sind, Kanada zu erreichen. Also will er die Ankommenden füttern, damit sie nicht genauso sterben wie der Rest ihrer Familie.

Nimm deinen Platz ein: Hubert Lemire, Emma-Kate Guimond, Papy Maurice Mbwiti und Marc Barakat © Catherine Aboumrad

Mit dieser Szene beginnt die Inszenierung „Dis Merci“ (Sag Danke) des kanadischen Theaterkollektivs Joe, Jack et John. Unter der Regie von Catherine Bourgeois stehen Marc Barakat, Hubert Lemire, Emma-Kate Guimond und Papy Maurice Mbwiti auf der Bühne. Die Rollennamen entsprechen denen der Darsteller*innen, da das Stück aus Improvisation heraus entstanden ist. Sie sprechen – die Gruppe kommt aus dem kanadischen Québec – Französisch und Englisch.

Die Handlung ist simpel: Die vier Nachbarn treffen sich in Marcs Haus, um eine bald ankommende Flüchtlingsfamilie aus Syrien zu begrüßen. Marc backt einen Kuchen, Emma bringt Luftballons zum Dekorieren mit und Hubert und Papy tragen ihre besten Anzüge. Die Vorbereitungen wären schnell erledigt, würden sich die vier nicht ständig in Streitereien, Diskussionen und Reflektionen über ihr eigenes Leben verheddern.

So überlegen sich die vier, die selbst Außenseiter- und Ankommenserfahrungen haben, Tipps für ihre Gäste, um ihnen den Start in der neuen Umgebung zu erleichtern. Die zynischen Ratschläge werden auf den Fransenvorhang hinter der Spielfläche projiziert und von Szenen illustriert, die immer wieder den Schwenk ins Alptraumhafte nehmen.

Der Erste lautet: „Prends ta place“ – Nimm deinen Platz ein. Dabei rangeln alle egoistisch um den besten Platz auf dem Sessel.

Ratschlag Nummer 2: „Fonds-toi dans le décor“ – Versuche so wenig wie möglich aufzufallen. Marc verschwindet hinter einem überdimensionalen Luftballon. Hubert legt sich in seinem grauen Anzug mit dem Gesicht nach unten auf den ebenso grauen Boden. Emma tarnt sich in einem knielangen Kostüm, das sehr an einen Wischmopp erinnert, im Fransenvorhang und Papy zieht einfach seinen hellblauen Anzug aus und setzt sich auf den Sessel, der die gleiche Farbe wie seine Haut hat.

Geschlossene Gesellschaft: Emma-Kate Guimond, Hubert Lemire, Papy Maurice Mbwiti und Marc Barakat © Catherine Aboumrad

Der nächste Tipp heißt „Rentre dans le rang“ – ordne dich unter. Marc nennt verschiedene Ordnungen, nach denen sich die Anderen aufstellen sollen. Die Entscheidung, wer denn jetzt der Größte ist oder wer am besten aussieht, führt erneut zu Streit.

Der letzte Tipp trägt den kürzesten Titel: „Obéis“ – gehorche. Hier gibt Emma mit überzeugender militärischer Härte Anweisungen, die die drei anderen Darsteller*innen zu befolgen haben. Zunächst sind es einfache Befehle, wie „Beine zusammen!“ oder „Aufstehen!“. Die Situation spitzt sich zu, bis Emma Hubert und Papy anschreit, dass sie tanzen sollen, als würde ihr Leben davon abhängen. Diese Nachbarn, die angeblich nur helfen wollen, schenken sich nichts. Sie sind so erbarmungslos wie eine Gesellschaft, die die Arme weit öffnet, um dann die Angekommenen zu gängeln.

Willkommensparty-Vorbereitungen mit Elefant im Raum © Catherine Aboumrad

Catherine Bourgeois lässt ihre Spieler*innen auf die Flüchtenden warten wie Wladimir und Estragon auf Godot. Eigentlich ein gutes Konzept. Allerdings mangelt es ihrer Inszenierung an Tempo und Tiefe. Manche Bilder wirken eher verwirrend: Als Hubert und Marc als Nachrichtensprecher von einem Vorfall berichten, bei dem ein schwarzer Truthahn ins Haus einer Frau eingedrungen sei und Papy durch das Wohnzimmer von Emma tanzt, während sie sich ängstlich in den Sessel drückt – da fragt man sich tatsächlich, was das eigentlich soll.

Die Inszenierung hat viele starke und komische Momente. Im Gesamten will sie jedoch zu viel, reißt ein Übermaß an Themen an, verhandelt zahlreiche Aspekte plakativ. Und schleppt sich dabei immer wieder gemächlich dahin. Der Witz kommt an, die Botschaft auch. Nur besonders tief schürft die Erkenntnis nicht, dass die Gastgeber selbst genug Dreck am Stecken haben.