Der Anfang vom Ende

Nachdem es bei Grenzenlos Kultur 2021 performativ über das Ende nachdachte, widmet sich das Künstlerduo Bert & Nasi nun seinem Gegenteil: dem Anfang. Beim Festival Grenzenlos Kultur zeigen sie ihre Tanzperformance „The Beginning“.

Immer wieder neu anfangen, immer wieder einen neuen Anfang finden. Ein Kreislauf aus Anfängen, ohne Erfolge zu verzeichnen, ohne einen Abschluss zu finden, ohne eine Erfüllung zu erreichen. Ein Leerlauf ohne einen wirklichen Sinn. Wozu führt das eigentlich? Auf der Bühne sehen wir eine freie Fläche, rechts am Rand stehen viele Mikrofone. Im Hintergrund ist eine Leinwand, auf der im Laufe der Inszenierung immer wieder Worte, Sätze und Zahlen eingeblendet werden. Schräg rechts vor dieser stehen zahlreiche Stühle. Am Beginn erzählen Nasi und Bert davon, wie es zur Idee von „The Beginning“ kam. Nachdem die beiden 2021 „The End“ aufführten, entscheiden sie, dass es nicht das Ende ihrer Zusammenarbeit sein soll und noch etwas weiteres folgen soll. So kommt es zu „The Beginning“, ihrer, wie sie selbst sagen, letzten gemeinsamen Performance. Oder doch nicht. Oder vielleicht doch? Bertrand Lesca und Nasi Voutsas sind unschlüssig, wohin ihr Weg führen soll, und lassen die Zuschauer*innen daran teilhaben.

Leere Bühne: Nasi (rechts) versucht seinen Finger in das von Bert kreierte Loch zwischen Zeigefinger und Daumen zu bewegen. Es ist noch ein großer Abstand zwischen ihnen.
Nasi Voutsas (rechts) und Bertrand Lesca (links) versuchen ihre Finger zum Loch zu führen, Foto: Holger Rudolph

„The Beginning“ besteht aus sieben Anfängen. Doch aller Anfang ist schwer: Immer wieder versuchen Bert & Nasi vergebens ein Ziel zu erreichen, und beispielsweise den Zeigefinger des Einen und das Loch zwischen Zeigefinger und Daumen des jeweils Anderen zusammenzuführen. Die Musik, die im Hintergrund eingespielt wird, wird hier wie auch bei den anderen sechs Anfängen immer schneller und mit ihr beschleunigt sich auch die Bewegung der Künstler. Um dann doch wieder nur einen neuen Anfang zu unternehmen. Die Serialität dieser immer neuen Anfänge wirkt mit Verlauf des Abends mitunter frustrierend, wird das Publikum doch in immer neue Szenarien geworfen, ohne dass eine Entwicklung stattfindet oder gar ein Ziel erreicht wird. Mit der Zeit wird verständlich, dass es den Künstlern gerade darum geht, immer wieder neu anzufangen, ohne aufzugeben, und dass es nie zu spät ist, etwas Neues zu versuchen. Ein fortwährender Kreislauf, der zu keinem Ziel führt. Doch ich denke mir, ist es nicht sinnvoll Dinge zu Ende zu bringen, sich nicht von seinen Zielen abbringen zu lassen und Erfolge zu verzeichnen? Schließlich bringt ein erfolgloses Neuanfangen nichts als Frustration mit sich.

Abwechslung schafft der vierte Anfang von „The Beginning“. Hier stellen sich die beiden Künstler vor die Zuschauer*innen und nicken diesen für mehrere Minuten zu, ohne dabei ein Wort zu sagen. Daraufhin kommen nach und nach 13 ältere Personen auf die Bühne und werden Teil der Performance. Einige von ihnen treten aus dem Zuschauerraum heraus, andere sitzen bereits am Bühnenrand und warten auf ihren Auftritt. Dabei handelt es sich um Mainzer*innen, welche im Rahmen eines öffentlichen Aufrufs die Möglichkeit erhielten, an der Tanzperformance teilzunehmen. Auch für sie ist dieser Abend, ist ihre Performance ein Neuanfang. Alles was hier zählt, ist die Leidenschaft und Präsenz der Akteur*innen in ihren simplen, aber bedeutsamen Bewegungen. Schließlich bewegt sich die Gruppe zum Rand der Bühne, wo sie an zahlreichen Mikrofonen die auf die Leinwand projizierten Anfänge vorlesen. Nachdem ich anfangs die Anfänge nur mit dem Alter verbinden kann, wird mir mit zunehmender Zahl angesprochener Anfänge klar, dass diese unabhängig vom Alter immer wieder auftreten können und es nie zu spät ist etwas Neues anzufangen, auszuprobieren und für sich zu entdecken. Gern hätten die Gastdarsteller*innen aus Mainz noch etwas mehr in die Performance miteingebracht hätten werden können.

13 Teilnehmer*innen (Bürger*innen aus Mainz) stehen nah beieinander auf der Bühne und gucken in Richtung Zuschauerraum (= die Position der Kamera). Sie stehen in einer Formation die einer Pfeilspitze ähnelt (hinten breiter, vorne spitz). In dieser Anordnung bewegten sie sich in der Aufführung gemeinsam zur Musik
Der Chor aus 13 Mainzer Teilnehmer*innen, Foto: Holger Rudolph

Nasi und Berts „The Beginning“ liefert Zuschauenden die Möglichkeit, ihre eigene Haltung zum Thema ganz unterschiedlich wahrzunehmen und zu reflektieren. Während andere Zuschauer*innen sichtlich berührt waren, hat mich die Performance eher zum Nachdenken angeregt. Erst einige Zeit nach der Performance wurde mir klar, wie das immer wieder Neuanfangen ohne etwas Bestimmtes zu erreichen meine Gedanken lenkte. Obgleich ich Tanztheater anfangs skeptisch gegenübertrat, handelt es sich bei „The Beginning“ um eine schöne Erfahrung und einen gelungenen Abend.