Ein Körper wie meiner

Sara Beer und Alina Braitmeier im Gespräch © Holger Rudolph

2012 entdeckte Philippa Langley unter einem Parkplatz in Leicester die Überreste des so berühmten wie berüchtigten Richard III. Der englische Monarch war nicht nur wegen seiner angeblichen Grausamkeit bekannt, sondern besonders wegen seines Aussehens. Als Langley ihn ausgräbt, kann sie erklären, wieso: Richard hatte Skoliose.

Sechs Jahre später sitzt Sara Beer erschöpft, aber sehr zufrieden neben Dramatikerin Kaite O‘Reilly. Sie ist an diesem Abend im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters beim Grenzenlos Kultur Festival zu Gast und teilt eine entscheidende Eigenschaft mit Richard III.: ihre Skoliose. Allerdings ist sie keine Kronerbin, sondern Schauspielerin. “Die Schauspielschulen wollten mich nicht ausbilden, weil ich ohnehin keinen Job kriegen würde”, sagt sie mit erheitertem Unterton. Sie steht trotzdem auf der Bühne, denn da wollte sie schon immer hin. Als Drama and English Teacher bringt ihre Mutter sie früh mit Theater in Berührung. “Da fühle ich mich einfach am Wohlsten”, sagt Beer.

Ihr Spiel ist reduziert, ein Sprachfeuerwerk vor allem, wie oft im britischen Theater. Wie sie im Einspieler, der sie vor altem Mauerwerk im Kettenhemd zeigt, die Shakespeare-Verse in die Kamera schleudert, hat ebensolche leicht spöttische, immer ein wenig kommentierende Wucht, wie ihr Finale, in dem sie sämtliche Vorurteile der Gesellschaft zu einer feurigen Anklage antiken Ausmaßes werden lässt. richard III redux erkundet die Grenzen, die die Gesellschaft Menschen mit einer körperlichen Behinderung auferlegt.

Sara Beer wirkt auf der Bühne viel ernster, als die fröhliche Person, der man schließlich gegenüber steht. Eine gewisse Leichtigkeit umgibt sie, ein Schmunzeln auf den Lippen. Bodenständig und bescheiden sitzt sie beim Künstlergespräch vor einem begeisterten Publikum. “Ein Körper wie der meine kann nicht die Liebende, die Zofe, das Mädchen von Nebenan spielen”, heißt es in dieser Performance. Kann sie natürlich, sagt Beer hinterher. Nur die Vorurteile der Theatermacher hindern sie zumeist daran.

Mit rebellischem Optimismus greift sich dort an, wo die Theaternorm aufhört. Weil die Schauspielschulen sie nicht annehmen, belegt Beer Business Studies und arbeitet dann für die Graeae Theatre Company und andere Gruppen in Wales – Institutionen, die Künstler*innen mit Behinderung fördern, um ihnen mehr Schaffensraum zu geben. 1987 trifft Beer zum ersten Mal auf Autorin und Dramaturgin Kaite O’Reilly – beide sind Teil der Disabled People‘s Movement in Großbritannien. Die Graeae Theatre Company gibt den beiden die Möglichkeit zu einer jahrelangen Zusammenarbeit. Das spiegelt sich vor allem in O‘Reillys Werken “Cosy” und “richard III redux“ wieder, in denen Sara Beer zum ersten Mal in den Hauptrollen zu sehen ist. In vielen anderen Produktionen war sie vor allem hinter der Bühne beteiligt.

In einem Balance-Akt jongliert Beer Theaterarbeit und Familie. Neben ihrer Zusammenarbeit mit der Llanarth Group, in der “richard III” entstand, arbeitet Beer drei bis vier Tage die Woche für Disability Arts Cymru. Sie organisiert Performances und Ausstellungen und berät Künstler und Organisationen. DAC ist ausschlaggebend für viele Kooperationen in der Disabled Artist Comunity. Neben zwei Söhnen ist das eine ganze Menge Arbeit, doch wenn man mit Leidenschaft bei der Sache ist, scheint das nichts auszumachen. Zumindest hat Sara Beer noch lange nicht genug. Selbst ihren ältesten Sohn hat sie mit ihrer Liebe zum Theater angesteckt: Auch er ist jetzt Schauspieler.