Warum stehenbleiben?

Der bzw. die doppelte Richard III.: Sara Beer ist's und ist's doch nicht © Holger Rudolph
Der bzw. die doppelte Richard III.: Sara Beer ist’s und ist’s doch nicht © Holger Rudolph

Was macht es mit einer Rolle wie Shakespeares Giganten Richard III., wenn er von einer Frau gespielt wird? Das ist ja heutzutage keine Seltenheit mehr. Ganz anders, wenn Shakespeares “humpelnder Krüppel” von einer Schauspielerin mit Skoliose gespielt wird. Was passiert dann?

Die walisische freie Theatergruppe The Llanarth Group bringt in “richard III redux OR Sara Beer [IS/NOT] richard III” an diesem Abend nicht den Schurken und Mörder auf die Bühne des U17, den Shakespeare aus Richard III. gemacht hat. Tatsächlich taucht Shakespeares Originaltext nur in wenigen Zitaten auf. Stattdessen dreht sich Sara Beers One-Woman-Show darum, aus der Perspektive einer Schauspielerin auf den historischen wie den Shakespeare’schen Richard zu blicken, der dieselbe Behinderung besaß wie sie. Mit viel Humor macht sich Beer auf die Suche nach “ihrem Richard” und danach, wie sie ihn porträtieren würde, wenn denn “irgendwann eventuell das Angebot käme, ihn in einer vielleicht in der Zukunft stattfindenden Produktion” zu spielen. Unterbrochen wird diese Suche durch semi-autobiographische Erinnerungen an die Kindheit und Schulzeit in Wales, Krankenhausaufenthalte und Großmutters knallharte Lebensweisheiten.

Beer bespielt die komplette Bühne allein. Auf einem asymmetrischen, dreistufigen Podest stehen ein großer Sessel und ein Beistelltisch mit Teetasse, im Hintergrund zwei Leinwände. Links läuft der Text auf deutscher und englischer Sprache, rechts werden Videos gezeigt und Beer mit einer Handkamera live übertragen.

Schauspieler-Rolle-Forschungen gestern und heute: Sara Beer sucht nach "ihrem Richard" © Holger Rudolph
Schauspieler-Rolle-Forschungen gestern und heute: Sara Beer sucht nach “ihrem Richard” © Holger Rudolph

Beer besitzt einen bezwingenden Charme, der zwischen britischer Schrulligkeit und klarer Analyse pendelt. Dennoch kann sie die Spannung während der zahlreichen Kostüm- und Szenenwechsel nicht immer halten. Zuweilen verliert sie den Faden, wirkt unkonzentriert, fahrig, stibitzt sich bei Texthängern ihre Einsätze von den Übertiteln. Dann wieder spricht sie mit einer solchen Dringlichkeit darüber, dass es in unserer Gesellschaft zu selten hinterfragt wird, warum ein bestimmter, nur in den seltensten Fällen behinderter Schauspieler diese oder jene Rolle spielt, dass sie die Aufmerksamkeit der Zuschauer erneut fesselt. Einmal kommentiert sie vergnüglich ironisch mit einer Fotocollage die Kostümwahl vieler großer Richard-Darsteller von Ian McKellen über Benedict Cumberbatch bis Lars Eidinger.

Das Skript zu “richard III redux OR Sara Beer [IS/NOT] richard III” stammt von Kaite O’Reilly und Phillip Zarrilli. Die beiden Co-Autoren bringen ihre Botschaft an diesem Abend auf den Punkt: Ja, wir sind weit gekommen, was das Thema Repräsentation betrifft: Frauen, die große, ursprünglich männliche Hauptrollen spielen, sind keine Seltenheit mehr. Warum also sollte man hier stehenbleiben? Warum werden “das Mädchen von nebenan oder der Staatschef” nicht mit Schauspieler*innen mit einer Behinderung besetzt? Dass das nichts mit mangelndem Talent zu tun hat, hat Sara Beer – trotz Wackler und Hänger – mit ihrer eindrücklichen Präsenz an diesem Abend unter Beweis gestellt.