In “De Man in Europe” sucht und findet Lucas De Man europäsische Visionen für die Herausforderungen von Heute.
„And this is Erasmus, you’ll recognize him from the beard“, sagt Lucas De Man und stellt Playmobil-Figuren auf eine mittelalterliche Karte Europas. Neben Erasmus stehen dort Martin Luther, Hieronymus Bosch und Thomas Morus. Eine Generation junger Menschen, die an der Entstehung dessen beteiligt waren, was wir irgendwann als europäische Werte begreifen, sagt De Man: „Menschen mit einer Vision“.
Solche Menschen hat er für seine Lecture-Performance „De man in Europe“ gesucht. Und gefunden. Sie ist Teil seines disziplinüberschreitenden Projekts „In Search of Europe. Discovering the Self“. Die beiden anderen Teile sind eine Dokumentation und das Den Bosch city project WOLK. Dafür reiste De Man durch 17 Städte in acht europäischen Ländern. In 100 Minuten präsentiert er die Ergebnisse seiner Reise mit von Interview-Reenactments und seinen eigenen Gedanken.
Keine bessere, sondern eine Gesellschaft
Um die Gegenwart zu präsentieren, geht De Man aber erst den Schritt zurück in die Vergangenheit. Zwischen dem Law oft the Forest, dem Buchdruck und den Ablassbriefen zeigt De Man, dass manches sich seit damals nicht verändert hat. Wieder leben wir in einer Zeit des medialen Umbruchs. Angst vor einer Überfremdung? Bedrucktes Papier anstelle von Güter-Tausch? Alles schon einmal dagewesen. Aber wer sind unsere Visionäre heute? Was verbindet Europa noch außer dem ESC (der die musikalische Spur durch den Abend legt)? Welche Strategien taugen, um auf die Herausforderungen der Gegenwart zu reagieren?
Nach einigen Impressionen seiner Reise geht es um seine Recherche-Ergebnisse. Auf zwei Leinwände werden Interview-Ausschnitte projiziert, mit denen De Man interagiert. Durch Schnitt und Timing entsteht der Eindruck, dass es sich nicht nur um aufgenommenes Videomaterial, sondern um ein lebendiges Gespräch handelt.
De Man erzählt an ausgewählten Beispielen von den Visionären, die ihm begegnet sind. Einer davon ist Engin Önder, ein türkischer ‘citizen journalist’. Önder startete aus Unzufriedenheit über die Berichterstattung der türkischen Medien einen eigenen Twitteraccount mit dem Namen 140journos. Mittlerweile ist er Chef einer Nachrichtenreaktion und eine wichtige Quelle unabhängiger Nachrichten aus der Türkei. Er betont immer wieder, dass es nicht darum gehe, eine bessere Gesellschaft zu schaffen, sondern eine Gesellschaft zu schaffen.
Kunst schützt Menschen
Oder Giorgio De Finis. Nachdem er zuvor immer als Erzähler und Befrager aufgetreten ist, schlüpft er hier zum ersten und einzigen Mal in eine Rolle und berichtet dem Publikum von De Finis’ Projekt „Metropoliz“. De Finis arbeitet in einer ehemaligen Salami-Fabrik in Rom, die von Menschen besetzt wurden, die er als leftover people beschreibt: Menschen die nicht mit der Gesellschaft mithalten können, Flüchtende, Obdachlose, Randständige. Um sie zusammenzubringen, lud er namhafte Künstler dazu ein, Kunstwerke zu schaffen aus dem, was sie in der Fabrik finden konnten. Daraus entwickelte sich eine Galerie für moderne Kunst, die heute einen Wert von mehreren Millionen Euro hat. Das Museum schafft einerseits einen Berührungspunkt zwischen den leftover people und den Besuchern, zum anderen schützt der Wert der Kunstwerke die Bewohner vor einer möglichen Vertreibung.
Am Ende drückt De Man – nun wieder Erzähler und Moderator des Abends – den Playmobil Figuren Schlagworte der Visionäre in die Hand. Die Figuren der 500 Jahre alten Veränderer, die Europa geprägt haben, tragen jetzt die Ideen einer neuen Generation, von der noch niemand sagen kann, wie sie Europa beeinflussen werden. Zu „To create a better society “, „Public Spaces“ und “Change Offline” gesellen sich „Time “, „Stories “, „Stay “. Die Botschaft: Wir brauchen Zeit und Geschichten, um zu verstehen. Und wir müssen bleiben und reden, gerade wenn wir völlig verschiedener Meinung sind, auch wenn das wehtut.
Spontan und charismatisch plaudert sich De Man in die Ernsthaftigkeit des Abends vor. Es ist ihm anzusehen, wie wichtig ihm sein Thema ist, wie sehr ihn diese Reise geprägt hat. Trotz der pointierten One-Man-Show steht nicht er im Mittelpunkt, sondern seine Erkenntnisse über die neue Generation an Visionären.
Und um diese geht es an diesem Abend, um die neue Generation, um die leftover people, um public spaces und darum Mauern niederzureißen, ohne das De Man sich dabei in utopischen Schwärmereien verliert. Natürlich ist seine Botschaft dabei keine neue. Aber in einer Zeit, in der Europa keine selbstverständliche Institution mehr zu seien scheint, schadet es nicht, diese Gedanken zu formulieren und sie auszusprechen.