“Realitätsferne ist gut für die Gesundheit”

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Thom Luz © Basil Stucheli

Heute Abend zeigt Thom Luz, einer der gefeiertsten jungen Regisseure, “When I Die” bei Grenzenlos Kultur. Ein Porträt.

Am Ende bleibt ein Wald aus Papierbahnen. Sie entspringen den Deckeln der sechs Klaviere und enden irgendwo in den Höhen des Schnürbodens. Licht fällt wie durch das obere Blätterwerk, ein Vogel zwitschert, ansonsten Stille. Im Schimmer des dunklen Zwielichts ist kein Lebewesen mehr zu sehen, das Bild steht. So endet die Inszenierung “LSD – Mein Sorgenkind. Eine Kette glücklicher Zufälle organisiert von Thom Luz” am Theater Basel.

Thom Luz gehört zu den wichtigsten Theaterregisseuren seiner Generation. Bei seiner Projektentwicklung “Archiv des Unvollständigen” 2014 am Staatstheater Oldenburg, das damals Markus Müller leitete, heute Intendant in Mainz, wurden die überregionale Kritik auf ihn aufmerksam. Mit Judith Schalanskys “Atlas der abgelegenen Inseln” am Staatstheater Hannover folgte 2015 eine Einladung zum Berliner Theatertreffen. Dass er jetzt in der deutschen Hauptstadt angekommen ist, zeigt der Vertrauensbeweis des Deutschen Theaters, die laufende Spielzeit mit seiner Bearbeitung von “Der Mensch erscheint im Holozän” nach Max Frischs Erzählung zu eröffnen. Heute ist er bei Grenzenlos Kultur mit “When I Die” zu Gast. Die als “Gespenstermusikabend” bezeichnete Inszenierung tourt seit ihrer Premiere beim Spielart Festival München 2013 durch die ganze Welt – von Reykjavík bis Buenos Aires.

Spielerisch bleiben

Seine Projekte und Inszenierungen jonglieren immer wieder mit den gleichen Dingen, und immer wieder funktionieren sie auf ähnliche Art neu: eine freistehende Tür, ein Klavier (oder eben sechs), hervorragende Musiker, Sänger, Schauspieler – meistens sind sie alles auf einmal. Die Musik, gesanglich oder atmosphärisch erzählend, ist dem gesprochenen Text gleichberechtigt und aus seinen Inszenierungen nicht wegzudenken. Fast möchte man sich wundern, dass er die Musikalität seiner Inszenierung zu Thomas Manns “Der Zauberberg” (Theater Basel 2015) überhaupt noch mit der Thematisierung von Musik in der literarischen Vorlage begründet. Ohnehin ist die auf der Bühne erklingende letztlich eine andere als die im Roman erwähnte.

Luz, Jahrgang 1981, macht seit 2007 Projekte in Eigenregie. Nach dem Schauspielstudium an der Zürcher Hochschule realisierte er erst kleinere, dann größere Abende. Seit vergangener Spielzeit ist er Hausregisseur in Basel. Auch die Verbindung um das Team von Markus Müller ist nie abgerissen: Ende der vergangenen Spielzeit inszenierte er am Staatstheater Mainz “Traurige Zauberer – eine Stumme Komödie mit Musik”. Wieder ein Abend, den die Kritik feierte.

Immer mit dabei: Mathias Weibel, Luz’ musikalischer Leiter, der durch seine frühere Zusammenarbeit mit Christoph Marthaler vielleicht nicht ganz unbeteiligt an dessen Einflüssen auf Luz Arbeiten ist. Die oft gezogenen Vergleiche mit dem großen Regisseur, der zu Luz’ Studienzeit Intendant des Zürcher Schauspielhauses war, mögen augenscheinlich sein. Ihm deshalb eine eigene Handschrift abzusprechen, wäre Unrecht. Zudem ist Luz nicht nur ein musikalischer Regisseur, sondern auch Kopf der Schweizer Indierockband “My Heart Belongs To Cecilia Winter“, denn: “Wenn man nur Theater macht, ist es schwierig, spielerisch zu bleiben, dann verkrustet man schnell ein bisschen.”

Eine andere Welt

Zurück zu “LSD”, diesem traumhaft kargen Abend über die zufällige Erfindung des Rausches. Das Schlussbild steht. Und steht. Das Publikum lauscht in die Stille des Waldes. Obwohl es keinen Zweifel gibt, dass die Vorstellung hier endet, rührt sich zunächst nichts im Zuschauerraum, in der Hoffnung, die Kette organisierter Zufälle möge weitergehen. Langsam holt zaghaftes Klatschen einen nach dem anderen aus dieser Welt zurück in das große Haus des Theater Basel, bis es letztendlich zu einem anhaltenden, dankbaren Applaus wird. Es sind Abende wie diese, an denen man begreift, was Luz meint, wenn er sagt: “Realitätsferne ist gut für die Gesundheit.”

“Die Welt dreht sich an mir vorbei”, schrieb er einmal als Kolumnist für den Zürcher Tages-Anzeiger. Dass er sich trotz seiner Erfolge weltweit nicht oben auf fühlt, sondern zeitlos mittendrin, spiegelt sich in seinen Inszenierungen wieder. Die Ferne zu einer getakteten, zeitbestimmten Realität tut in Mainz sicher genauso gut wie im Rest der Welt. Wer “When I Die” verpassen sollte, hat kann diese Erfahrung immer noch machen: “Traurige Zauberer” wird bereits ab Oktober wieder im Staatstheater zu sehen sein.