Es bleibt die Stille

Hades holt Orpheus in die Unterwelt. © Jürgen Diemer
Hades holt Orpheus in die Unterwelt. © Jürgen Diemer

Mit “Orpheus und Eurydike” eröffnet das Bremer Blaumeier-Atelier Grenzenlos Kultur Vol. 15

Er hat das Unmögliche geschafft. Als Lebender gelangt Orpheus in die Unterwelt, um seine geliebte Eurydike von den Toten zu befreien. Nur eine einzige Bedingung stellt ihm der Gott der Unterwelt: “Dreh‘ dich nicht um im Reich der Schatten!” Doch die Sehnsucht ist unerträglich und mit dem ersten Blick über seine Schulter verschwindet die schöne Eurydike für immer in der Dunkelheit. Auch ein letzter kläglicher Versuch, sie mit dem schwachen Schein der Taschenlampe wiederzufinden, bleibt vergebens.

Das Blaumeier-Atelier unter der Regie von Imke Burma, Jörg Isermeyer und Barbara Weste zaubert eine kurzweilige, herzerwärmende Inszenierung von “Orpheus und Eurydike” auf der Bühne des Kulturzentrums Mainz. Unverkennbar durch die rosa Kleider der Frauen und die grünen Hosen der Männer tanzt, singt, kreischt, lacht und trauert die vierfache Ausführung des Liebespaares über die Bühne – eine Mehrfachbesetzung, die zeigt, wie facettenreich die Liebe ist. Ob schüchtern, leidenschaftlich oder gleichgültig,  eines haben alle Paare gemeinsam: Sie lieben sich bedingungslos und schmelzen sichtlich vor Hingabe dahin, denn die Liebe ist schließlich “wie die wärmende Sonne”.

So schwelgt das Liebesglück in den ersten Szenen in Zärtlichkeit und Liebkosung  und wird kurzerhand durch den Biss einer Schlange beendet. Im Garten erliegt Eurydike dem Schlangengift und ihre aufgebrachten Freundinnen (“aber ich wollte doch noch mit dir Shoppen gehen”) erwecken kurze Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser tragischen Wendung. Doch als Orpheus, hier gespielt von Maximilian Kurth, seine tote Geliebte am Boden erblickt, verfliegt jeder Zweifel sofort. Seine Trauer um Eurydike geht unter die Haut. Ein herzzerreißender, großartiger Auftritt, der ergreifendste des Abends. Auch Aladdin Detlefsen überzeugt als Orpheus mit vielseitigen Tanzeinlagen. Lässig, als cooler Star mit langer schwarzer Mähne, lässt er sich von seinen jubelnden Fans feiern und gleitet ebenso präzise wie ästhetisch über die Bühne, wenn er die Schönheit seiner Eurydike mit fließenden Bewegungen zum Ausdruck bringt.

Wenn es zischt, schmatzt und schnalzt, sind das die Musiker David Jehn und Walter Pohl, die mit ihrer charmant witzigen Art und einer beachtlichen Vielzahl an unterschiedlichen Instrumenten dem Bühnengeschehen Tempo verleihen. Dabei verzaubert nicht nur die Hingabe, mit der die Schauspieler und Musiker auf der Bühne die unerschütterliche Leidenschaft zwischen Orpheus und Eurydike zum Ausdruck bringen. Auch die Liebe zum Detail verzückt. Götterbote Hermes, gespielt von Melanie Socher, trägt silberfarbene Glitzerstiefel und eine lederne Pilotenmütze und ist unverkennbar kein irdisches Wesen. Dennoch pflegt er eine heimliche Leidenschaft für romantische Liebesgeschichten. Eine andere Leidenschaft entwickeln Hades‘ Höllenhunde, die den Eingang zur Unterwelt bewachen. Sie stecken in blauen Pagenanzügen und dicken Fellmützen und verwehren Orpheus mit lautstarkem Gebell den Eintritt in die Schattenwelt. Immer und immer wieder – bis ihm dank ein paar Leckerlis die Tore offen stehen. In seinen Gemächern wacht Hades (Michael Riesen) über die Uhren des Schicksals. Ihr unermüdliches Ticken erinnert daran, dass die Zeit für die Menschen dort unten schon abgelaufen ist.

So ist auch das Schicksal von Orpheus und Eurydike nicht für die Ewigkeit bestimmt. Es bleibt die Stille um Orpheus und ein nüchternes “Hat wohl nicht geklappt” von Hermes. Auch die rasenden Mänaden können ihn nicht verführen. Kein Wunder – die schrägen orangefarbenen Kleider, das schrille Gekreische und ihre exzessiven Tänze haben nichts mehr von der sinnlichen und bezaubernden Eurydike.

Mehr zu “Orpheus und Eurydike”? Hier gibt es eine zweite Kritik zur Blaumeier-Produktion, hier mehr zum Mythos.