Keine Anstalt(en) machen

Zum Auftakt der 25ten Ausgabe des Theaterfestivals Grenzenlos Kultur empfängt das Berliner inklusive Theater RambaZamba die Mainzer Zuschauer*innenschaft mit seiner Inszenierung „Einer flog über das Kuckucksnest“ nach dem gleichnamigen, mit mehreren Oscars ausgezeichneten Film von Miloš Forman. Die Theaterinszenierung in der Regie von Film- und Theaterregisseur Leander Haußmann versucht den Film in eine eigene Version zu übertragen und sich dabei Handlung und Motive entsprechend zu eigen zu machen. Dabei löst sie sich nie vollständig vom Film, sondern macht immer wieder von Einspielern Gebrauch, welche auf drei den Bühnenhintergrund rahmende Leinwände projiziert werden. So sehen wir z.B. Filmbilder von Jack Nicholson alias Protagonist McMurphy, während RambaZamba-Schauspieler Jonas Sippel davor lässig seine eigene Version des McMurphy performt.

McMurphy, gespielt von Jonas Sippel, steht mittig auf der Bühne, im Hintergrund sieht man groß projiziert (und dreifach) das Bild des Klinkdirektors aus dem Originalfilm. Vorn rechts sieht man Franziska Kleinert sitzen, die die Krankenschwester Ratched spielt, im dunkeln vorn links sitzt ihre Assistentin, gespielt von Nele Winkler
Jonas Sippel als McMurphy in „Einer flog über das Kuckucksnest“, im Hintergrund die dreifache Projektion des Klinikdirektors aus dem filmischen Original, Foto: Holger Rudolph 

Im weiteren Verlauf werden Originalfilmsequenzen und neu gedrehte filmische Szenen kombiniert: So tritt Jonas Sippel bspw. mit der Klinikleitung der Filmversion in einen Dialog und schafft dabei seine eigene Variante der berühmten Aussteiger- und Antihelden-Figur McMurphy, die sich gegen das gewaltvolle System einer psychiatrischen Anstalt zur Wehr setzt. Dies tut er, indem er die anderen Patient*innen dazu animiert, sich von den vorgegebenen Strukturen zu lösen, und selbst die Einnahme der Tabletten verweigert. Die humorvoll-komödiantische Spielweise des Ensembles kontrastiert den Filmstoff mit einer lockeren, unverkrampften Stimmung, die sich durch den ganzen Abend hindurchzieht.

Das fünfköpfige Ensemble sitzt gemeinsam in der Therapie, vier auf Hockern, einer (Jonas Sippel als McMurphy) steht zwischen ihnen. Neben ihm, in zweiter Reihe steht noch eine der beiden Dolmetscherinnen, die als Figuren getarnt alle Texte in Deutsche Gebärdensprache parallel übersetzen.
Wer will lieber Baseball gucken? Zur Abstimmung während der Gruppentherapie, angeheizt von Jonas Sippels McMurphy (vierter von links), Foto: Holger Rudolph

Bereits zu Beginn formiert sich auf der Bühne eine Stuhlreihe zur Gruppentherapie, angeleitet vom nicht behinderten Gastdarsteller Norbert Stöß, der neben dem Ensemble der RambaZamba-Darsteller*innen mit Down-Syndrom oder Lernschwierigkeiten den Anstaltsarzt verkörpert. Dass dieser die Autorität hat, zeigt er direkt nach Einlassende, als Stöß den Lichtschalter im Parkett bedient und „zur Sicherheit aller“ erklärt, dass die Türen abgeschlossen werden müssten, um die Patient*innen – und auch uns, das Publikum – am Ausbruch zu hindern. Durch seine Performance als primäre Autoritätsperson verliert leider die von Franziska Kleinert verkörperte Krankenschwester Ratched, die im Film so dominant das Sagen in der Anstalt hat, ihre Autorität und wirkt eher wie eine Nebenfigur. Die Integration von Norbert Stöß wirkt deshalb an manchen Stellen auch wie eine inszenatorische Absicherung für den Fall, dass Dinge nicht ‚nach Plan‘ laufen, z.B. wenn eine vergessene Textpassage der Kolleg*innen ins Ohr geflüstert oder direkt aus der Buchvorlage des Films vorgelesen oder souffliert werden muss.

Neben den Darsteller*innen und zwei mitlaufenden, ebenfalls weiße Patient*innenkleidung tragenden, Gebärdensprachdolmetscherinnen sind auf der Bühne auch die beiden Musiker Amon Wendel und Phil Haußmann des Duos Gespenster zu sehen. Sie steuern zur Inszenierung die passende, atmosphärische Stimmung bei, die ein bisschen was von (romantisiertem) Wildem Westen hat. Sie sind auch als Figuren eingebunden: Amon Wendel verkörpert z.B. auch den Wächter, der beim Ausbruch der Patient*innen-Gruppe überwältigt wird. Für diesen Teil hat Haußmann, der für „Einer flog über das Kuckucksnest“ zum ersten Mal mit dem Theater RambaZamba zusammengearbeitet hat, mit dem Ensemble einen eigenen Film gedreht. Darin fliehen die RambaZamba-Schauspieler*innen angeleitet von McMurphy/Sippel aus ihrem Theater in die Straßen Berlins.

Im Film steigert sich die lockere Atmosphäre des Abends noch ins Slapstickhafte. Allerdings könnte man sich bei aller Unterhaltung fragen, warum die kurze Freiheit in der Außenwelt unbedingt (klischeebeladen) mit Bier trinken, Kleinkriminalität und Prostitution verlebt werden muss? Am Ende hat man das Gefühl, es geht dieser Inszenierung vor allem um Unterhaltung und die Freude am Spiel. Nicht so sehr um eine Auseinandersetzung mit psychiatrischen Anstalten, sondern darum, einfach keine Anstalten zu machen.