Meet Fred!

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Stürmisches Schicksal: Fred und seine Puppenspieler mit Gegenwind © Tom Beardshaw

Hijinx Theatre und Blind Summit erschaffen einen hinreißend berührenden Abend über das Anderssein

Habt ihr Fred kennengelernt? Sein Typ: weich. Sein Stil: minimalistisch. Fred ist eine Stoffpuppe. Und was für eine! Als er aus sich seinem Schlaf des Vergessens schält, wirkt er anrührend verwirrt und unschuldig. Schüchtern und verlegen bei seinem ersten Date im Park. Zerbrechlich und hilflos, als er in ein stürmisches Unwetter gerät. Spielerisch tänzelnd zu Michael Jacksons “Smooth Criminal. Ein knuffiger Typ mit ziemlich direkter Sprache.

In „Meet Fred“ haucht das britische Hijinx Theatre aus Wales diesem Stück Stoff fabelhaft Leben ein. Angeleitet von der legendären Londoner Figurentheatergruppe Blind Summit katapultieren sie die Geschichte dieser eigenwillige Puppe bei Grenzenlos Kultur auf die Bühne des U17. Hier erwcht Fred als Star einer eigenen Show, die sein Leben ist. Ben Pettitt-Wade als Regisseur mit grüner Fußballkappe und Skriptbuch eröffnet ihm, der sich etwas verwirrt in seinem Leben zu orientieren beginnt, mögliche Situationen: Auf einer riesigen Mindmap erstreckt sich über drei große Wände wirres Gekritzel. Von der Partynacht bis zum Arbeitsamt sind viele Höhen und Tiefen dabei, die nach und nach abgehakt werden. Vor allem die Tiefen.

Spiegel der Gesellschaft

Zunächst wird Fred zum Arbeitsamt geschickt. Schließlich braucht er einen Job. Andernfalls wird ihm einer seiner drei Puppenspieler gestrichen, die er braucht, um sich so elegant zu bewegen, wie er es tut. Seine Spieler schreiben ihm Emotionen aufs leere Gesicht, sprechen für ihn und treten doch immer wieder völlig hinter ihn zurück. Allerdings bekommt er von Richard Newnhams akkuraten Betreuer nur Jobs angeboten, die für seine Beschaffenheit unmöglich sind: Schwimmlehrer? Als Stoffpuppe? Entrümpler? Bei den dünnen Ärmchen? Einzige echte Option: Kinderbespaßer. Fred rebelliert, es ist ihm schlicht zu blöd. Er möchte doch einfach ganz normal sein und ein normales Leben führen.

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Fred mit nur noch zwei seiner Puppenspieler – und Martin © Hijinx Theatre

Überfordert hetzt er, von seinen drei Puppenspielern an Händen, Kopf, Bauch und Beinen geleitet und von einer leichtfüßigen Melodie angetrieben, durch Szenen des Alltags. Er erfährt Enttäuschungen und betrinkt sich am Ende resigniert.

Das extreme Drei-Mann-Puppenspiel von Dan McGowan, Morgan Thomas und Craig Quat: groß! Dan McGowan leiht ihm dabei seine äußerst flexible Stimme, lässt ihn hoffen, zweifeln, leiden. Dabei betont der Abend, wie die Puppenspieler Fred beleben, ihn beherrschen. Die Beziehung zwischen Puppe und Puppenspieler erinnert an die Abhängigkeit zwischen Hilfebedürftigen und Helfern, eine Abhängigkeit, die bei vielen Menschen mit Behinderung zu ihren Betreuern existiert. Die Inszenierung verleiht dem Abend eine Bedeutung, die nachhallt: Es ist nicht immer einfach, anders zu sein. Konfliktlinien des Andersseins, Fragen nach Lebenswahl und Teilhabe verstecken sich hier in dem Wesen von Fred. Er brilliert als Spiegel einer Gesellschaft, die sich der Härte verschrieben hat – ein Brückenschlag zum Symposium „Who Cares?“.

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Die gesamte Crew auf einem Bild: Martin Vick, Ben Pettitt-Wade, Lindsay Foster, Morgan Thomas, Fred, Craig Quat, Dan McGowan, Richard Newnham. © Tom Beardshaw

Tiefgründig lässt das Ensemble Fred essentielle Fragen stellen: Können Menschen mit Hilfsbedarf ihr Leben so leben, wie sie wollen? Werden sie eingeschränkt, entmachtet? Kann man hier noch von Empowerment sprechen? Zumal es noch eine Person auf der Bühne gibt: Martin Vick, eifriger Helfer des Regisseurs, trägt Leitern, holt Requisiten, schiebt Kisten. Vick hat das Downsyndrom und wird auf der Bühne trotz seiner Loyalität vom Regisseur nicht ernstgenommen.

Er ist es, der Fred in der Eingangssequenz auf die Bühne bringt und er ist es, der ihn am Ende wieder mitnimmt. Als hätte er der Puppe seine Gedanken eingehaucht, als sei es seine Geschichte, die erzählt wird. Als einer von Freds Puppenspielern entlassen wird und Fred deshalb nicht mehr laufen kann, bekommt Martin die Chance selbst die bedeutsame Aufgabe zu übernehmen. Doch Ben Pettitt-Wades eiskalter Regisseur ruft nur nüchtern: „Blame the system“, feuert Martin und erniedrigt Fred, indem er ihm sagt, dass er nur ein nutzloses Stück Stoff sei.

Eine romantische Utopie

Nach einem gescheiterten Selbstmordversuch spricht Lindsay Foster – selbsternannte Erschafferin Freds – ihm Mut zu: „Sei deine eigene Puppe!“ Ob das so einfach ist, bleibt offen. Das Ende schließt mit einer romantischen Utopie: Fred verlässt die Show und möchte die echte Welt erobern, Astronaut werden. Zu zarten Gitarrenklängen breitet er mit Hilfe von Martin seine Stoffarme aus, beginnt zu fliegen und triumphiert über die Realität – für einen kurzen, magischen, schwerelosen Moment.