Im ersten Teil der Festivaleigenproduktion “Zusammenarbeit” zeigen drei Künstlerpaare ihre Ergebnisse aus einer Woche intensiver Theaterarbeit. Jeweils drei Thikwa-Schauspieler und drei Performer aus der freien Szene sind sich in diesem Projekt zum ersten mal begegnet.
Eine U-Bahn tuckert durch dichten Wolkennebel, ihre Scheinwerfer kündigen manch müdem Wartenden ihre Ankunft am Bahnsteig an: “Verrückt bleiben, bitte!”, ertönt es aus dem Lautsprecher. Wer sich an eine Großstadt erinnert fühlt, liegt falsch: Im U-Bahn-Theater von Torsten Holzapfel und Florian Loycke lassen sich sogar Passagiere im Mainzer Untergrund befördern.
Eine Mini-Discokugel dreht sich und wirft glitzernde Schatten an die schwarzen Wände. Zur reloaded-Version von Beethovens Fünfter Symphonie platzieren Nico Altmann und Anna K. Becker mehrere Schnecken auf und um die Kugel: Schneckendisco.
In einen Bus aus Pappe steigt ein Fahrgast ohne Fahrschein ein. Ähnlich wie bei Bud Spencers “Plattfuß in Afrika“ kommt es zur Kampfszene. Cornelia Glowniewski, auf deren Kopf stolz eine Krone mit der Aufschrift “Regisseur/Bud Spencer” thront, kann dieses Vergehen nicht durchgehen lassen und greift zur Keule. Rahel Savoldelli muss sich irgendwann geschlagen geben.
Drei Paare. Sechs unterschiedliche Menschen. Alle Künstler. Das Festivalprojekt “Zusammenarbeit” hat sie zusammengeführt, um die Theaterarbeit mit so genannten geistig behinderten Menschen neu zu gestalten. Insgesamt sechs inklusive Künstlerpaare haben knapp eine Woche lang in Mainz nach einer neuen Form der Zusammenarbeit gesucht. Gestern Abend war der erste Teil dieser Produktion im KUZ zu sehen. Selbstgedrehte Videoaufnahmen beleuchten die gemeinsame Arbeit, das Kennenlernen und das Bild der Künstler voneinander genauer. Diese werden jeweils vor oder nach der Inszenierung gezeigt.
Wer hat hier die Hosen an?
Vor rund zwei Dutzend Zuschauern – ein Großteil davon aus der Festival-Produktion – präsentieren die drei Paare ihre gemeinsame Vorstellung eines inklusiven Theaters. Soll gelenkt, geformt oder doch zurückgenommen werden? Bei der U-Bahn-Inszenierung von Thikwa-Schauspieler Torsten Holzapfel und Florian Loycke, Mitbegründer des Helmi-Puppentheaters, wird schnell klar, wer hier die Hosen anhat: Holzapfel diktiert die neuen Haltestellen-Namen des Mainzer U-Bahn-Netzes, er weist mit typischer Lautsprecherstimme auf Verspätungen im Bahnverkehr hin (auch auf Englisch), ist Schaffner, Bahnfahrer und baut nebenbei ein neues Schienennetz auf einer Biertischgarnitur. Und Loycke? Der ist mal stummer Gitarrenspieler, mal Puppenhalter.
Und musste während der Zusammenarbeit öfter feststellen: “Ich lass mich ja hier nicht unterbuttern.” Beim Thema haben sich die beiden an Holzapfels Lieblingsthema orientiert: der U-Bahn. Eine typisches Loycke-Element fließt durch die zahlreichen Helmi-Puppen in die Produktion ein.
Wenn Regisseurin Anna K. Becker davon erzählt, dass sie ein Spongebob-Fan ist und vor allem dessen Hausschnecke Gary super findet, dann ist das eigentlich Nico Altmanns Leidenschaft. Und wenn der Thikwa-Schauspieler erzählt, dass er in Gießen studiert hat und Regisseur ist, dann ist das in Wirklichkeit Beckers Werdegang. Oft verbessert er seine Schauspielkollegin, wenn diese etwa nicht auf den Namen seines Berliner Stadtteils kommt. Er hilft ihr auch bei kurzzeitigen Blackouts. Sie erzählen sich gegenseitig von sich und finden auch Gemeinsamkeiten, die sie bei den Proben entdecken konnten. Es geht um gegenseitiges Verstehen und die Erkenntnis, dass man sich doch irgendwie auf einer Wellenlänge befindet.
Kommt jetzt die Nacktszene?
Auch wenn Cornelia Glowniewski eine Krone mit der Aufschrift “Regisseur” trägt, ist es Rahel Savoldelli, die den Ton angibt. Im Videobeitrag sagt sie selbst, dass sie “formt” und versucht, Conny Dinge zu entlocken. Durch Fragen wie “Kommt jetzt die Nacktszene?” lenkt sie die Produktion und gibt Anweisungen. Anders als in den Aufnahmen der beiden anderen Teams sieht man Savoldelli mit Tränen in den Augen und total fertig vor der Kamera sitzen. Die Bilder zeigen, dass eine neue Form der Zusammenarbeit anstrengend und kräftezehrend sein kann.
Innerhalb einer Woche haben die sechs Performer gebastelt, gemalt, geprobt und so manche Abneigung gegen Schnecken abgelegt. Als Aufgabe der Zusammenarbeit kann wohl die Findung eines Themas selbst gesehen werden. Und das haben alle drei Paare gemeinsam geschafft.
Der zweite Teil von “Zusammenarbeit” läuft heute Abend im KUZ ab 19.30 Uhr. Ein Porträt des Teams Cornelia Glowniewski / Rahel Savoldelli finden Sie hier.