“Meinungen sind der Tod einer jeden Begegnung”

© Marie Tollkühn
Conny Glowniewski und Rahel Savoldelli, dazwischen die Autorin © Marie Tollkühn

Heute und morgen zeigt Grenzenlos Kultur “Zusammenarbeit” – sechs Thikwa-Schauspieler und sechs Performer der freien Szene haben sich eine Woche lang zu Künstlerpaaren zusammengefunden und schauen, was passiert. Ein Blick hinter die Kulissen

In der aus Biertischen improvisierte Bastelecke wuseln fröhlich zwei der sechs Paare umher, die in der festivalinternen Produktion “Zusammenarbeit“ je einen Teil gestalten. Einfache Kartons verwandeln sich unter ihren Händen mit Gewebeklebeband, einer Heißklebepistole und ein bisschen Phantasie in U-Bahnen und Busse. Neben erbitterten Kämpfen um das Klebeband basteln sie gemeinsam, lachen und singen: über einen Mann mit Akkordeon, über eine Fahrkartenkontrolleurin und über Lili Marleen.

Spaziergang am Rheinufer

Heute Abend wird bei Grenzenlos Kultur der erste Teil dieser “Zusammenarbeit” gezeigt, ein wildes Experiment, weil sich die Künstler-Paare vor ihrer Begegnung hier in Mainz noch nie gesehen haben. Marcel Bugiel, der die Produktion leitet und als Dramaturg schon für viele inklusive Festivalerfolge wie “Disabled Theater” und “Dschingis Khan” verantwortlich zeichnet, hat die sechs inklusiven Künstler-Paare zusammengeführt. Fünf Tage haben sie Zeit, um sich kennen zu lernen und ein Ergebnis zu produzieren.

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Arbeit am Bus © Marie Tollkühn

Zum Beispiel Rahel Savoldelli und Conny Glowniewski. Savoldelli ist ausgebildete Schauspielerin, hat mit Contanza Macras, Anne Tismer und Jared Gradinger gearbeitet und tourte weltweit mit ihrer Soloperformance “copyME”, in der sie das Konzept geistigen Eigentums hinterfragte. Conny Glowniewski, die lieber Conny Straußberg genannt werden möchte, spielte in vielen Thikwa-Produktionen wie “ZeitStille” und “Feder, Meer und Nachtigall” mit und wurde für ihre Bilder 2010 mit dem Lothar Späth Förderpreis ausgezeichnet.

Um zum Kern ihrer “Zusammenarbeit” vorzudringen, interviewen sich Rahel und Conny gegenseitig, arbeiten mit einer Kamera und machen einen langen Spaziergang am Rheinufer, um über vergangene Arbeiten zu sprechen. Daneben beschäftigt sich Rahel Savoldelli auch mit der Frage, wie man das dann dem Zuschauer zeigen und näherbringen kann. Gespräche mit dem Publikum sind ihr sehr wichtig. “Kunst entsteht nur durch die Begegnung verschiedener Menschen und das Kunstwerk kann niemals losgelöst vom Künstler oder vom Betrachter existieren”, sagt sie.

Sich einlassen auf den Moment

Beim Basteln des Busses dürfen sowohl die Fotografin Marie als auch ich mal selbst Hand anlegen. Weil Conny Straußberg Bud Spencer unglaublich lustig findet, wollen die beiden die Anfangsszene aus dem Film “Plattfuß in Afrika“ nachstellen und einen Kampf im Bus inszenieren. Mit einer Schaumstoffkeule haut Conny Rahel auf den Kopf, um zu testen, ob die Bastelarbeit der geplanten Rauferei standhält.

Im Mittelpunkt dieses Projekts steht für Rahel Salvoldelli die Begegnung an sich und weniger eine Behinderung als solche. “Meinungen sind der Tod einer jeden Begegnung”, sagt sie und plädiert gegen Kategorisierungen. Sowohl in der Kunst als auch im wirklichen Leben. Stellt doch dieses Schubladendenken viel eher eine Behinderung im Umgang mit dem Gegenüber dar. “An Conny finde ich besonders bewundernswert, dass sie beim Kennenlernen von fremden Menschen sehr frei ist. Sie fühlt sich nicht irgendeinem Verhaltenskodex unterworfen und lässt ihren Emotionen im Umgang mit neuen Bekanntschaften freien Lauf”, erzählt Rahel Salvoldelli. Dabei werden schon Pläne für spätere Besuche nach Projektende geschmiedet.

Obwohl Rahel Savoldelli es zu vermeiden sucht, sich bei einem solchen Projekt sofort von einem Produktionszwang einnehmen zu lassen, ist die Frage nach einer geeigneten Form der Präsentation trotzdem sehr wichtig. Bei der heutigen Werkschau haben alle Paare gezeigt, woran sie momentan arbeiten. “Es ist interessant, wie schnell doch wieder etwas Dinghaftes entsteht”, bemerkt sie, “hier wird unglaublich viel gebastelt.” Der Prozess der Zusammenarbeit von Rahel und Conny wird heute zwar mit einer Rahmenhandlung geschmückt. Genauso wichtig wird aber auch das sich Einlassen auf den Moment. “Das kann natürlich auch schief gehen”, kommentiert Rahel Savoldelli mit einem Augenzwinkern.

Ob es schiefgehen wird oder eine wunderbare Begegnung entsteht, lässt sich heute und morgen ab ab 19.30 Uhr im KUZ überprüfen.