“Ich habe bislang noch keine Nicht-Behinderten kennen gelernt”

Der Schauspieler Max Freitag vor der Walpodenakademie © Natalia Frumkina

Max Freitag vom Theater Thikwa ist Teil von Anne Tismers Performance “Plastikgespenst der Freiheit”. Sein Traumberuf: Schauspieler. Der Weg dahin war kein gerader. Ein Porträt.Draußen werden die Passanten an diesem frühen Nachmittag mit einem heiteren “Mahlzeit” begrüßt. Die fast nicht vorhandenen Chinesisch- und Japanischkenntnisse werden ausgepackt und an den Frontscheiben der auf der Straße geparkten Autos stecken selbstgemalte Strafzettel. Die Performer von Theater Thikwa, die zusammen mit Anne Tismer in der Walpoden Akademie das Plastikgespenst der Freiheit heraufbeschwören, brauchen keine Vorbereitung mehr, sie fiebern nur noch ihrem Auftritt entgegen.

Drinnen, hinter dem großen Schaufenster, sitzt Max und stimmt sich auf seine eigene Art auf die heutige Aufführung ein. Er hört Musik. Das macht Max immer, wenn er das Gefühl hat, dass sich seine Gedanken zu sehr im Kreis drehen oder er sich einfach entspannen möchte. Max hat das Asperger-Syndrom, das heißt: Er ist Autist. Seit eineinhalb Jahren ist er Künstler beim Theater Thikwa. Zum Theater wollte er schon lange. Schauspieler – ein langersehnter Traumberuf also. Als er mit 13 oder 14 das erste Mal in der Schule auf einer Bühne stand, ahnte er, dass sein Berufswunsch im Gegensatz zu vielen anderen kein unrealistisches Hirngespinst bleiben muss. „Meine Klassenkameraden wollten Polizist werden, oder Raumfahrer. Ich wusste, dass das nicht klappen wird. Aber Schauspieler war greifbarer, zumindest für mich“, erzählt er mit einem zurückhaltenden Lächeln.

"Das Plastikgespenst der Freiheit"
Max Freitag in Aktion beim “Plastikgespenst” © Natalia Frumkina

Heute ist Max 25 und bei Theater Thikwa schon im Dauereinsatz. Er spielt bei vier Inszenierungen mit, in seiner Lieblingsinszenierung “Schippels Traum” sogar eine der Hauptrollen. Doch der Weg hierher verlief nicht gerade. Einige Jahre lang probierte sich Max bei Lernmobil e.V. aus, einer Bildungsstätte für Menschen mit Behinderung, als Kindergärtner, Altenpfleger, Hundelehrer und Supermarktsortierer. Außer dem Letzteren hätte er sich alles irgendwie als Beruf vorstellen können. Doch dann ist seine Mutter im Internet auf Theater Thikwa aufmerksam geworden. Die Schauspielerei, die Max doch am allerliebsten macht, nahm ihren Lauf.

Die Thikwa-Werkstatt für Theater und Kunst ist ein Fulltime-Job. Früh morgens beginnt für den jungen Mann der Tag. Dann steht hartes Training auf dem Programm – Aufwärmen, Körper und Stimme schulen, in Aufmerksamkeitsspielen das Gruppengefühl stärken. Nach dem Mittagessen ist Zeit für kreative Kurse. Das Zeichnen beispielsweise hat es Max besonders angetan. Seinen Zeichenblock hat er seither immer dabei. Wenn er Zeit findet, hält er hier seine Ideen und Gedanken fest. Abends probt man im Theater für neue Inszenierungen oder bereitet sich auf die aktuellen Vorstellungen vor. Auf die Frage, wie er die Zusammenarbeit von behinderten und nichtbehinderten Künstlern bei Theater Thikwa empfindet, antwortet Max: “Ganz ehrlich, ich habe bis jetzt noch keine Nichtbehinderten hier kennengelernt.”

Bei Grenzenlos Kulur Vol. 14 zeigen Max und seine Kollegen gemeinsam mit der Schauspielerin und Performerin Anne Tismer vier Tage lang Ausschnitte aus Luis Buñuels Film “Das Gespenst der Freiheit” in einer eigenwilligen Version. “Eine der Mitarbeiterinnen von Theater Thikwa hat mich gefragt, ob ich Lust hätte, bei Anne Tismers Projekt in Mainz mitzumachen und ich habe sofort Ja gesagt”, erinnert sich Max an die Entstehung der Zusammenarbeit. Und diese läuft super: “Anne Tismer habe ich persönlich erst in Mainz kennengelernt. Aber wir verstehen uns sehr gut. Sie hat auch eine leichte Form des Asperger-Syndroms, wie ich.”

Zu Beginn der Arbeit haben sich die Künstler den Spielfilm angeschaut und dann gemeinsam beraten, wie sie seine surreale Struktur und den Inhalt am besten an den Zuschauer bringen können. Sie haben dann aus verschiedenen Materialen, allen voran natürlich Plastik, Requisiten gebastelt und passende Kostüme ausgesucht. Dabei kamen auch Max‘ Zeichenkünste zum Einsatz. An der Wand hängen mehrere von ihm gestaltete Plakate, die in Form von Vermisstenanzeigen die Figuren des Films darstellen. “Ich finde das Projekt richtig toll. Natürlich ist das Spielen für mich der Höhepunkt, aber auch das Basteln der Plastikfiguren ist neu und aufregend”, erzählt er.

Das kleine, beschauliche Mainz gefällt dem gebürtigen Berliner ausgesprochen gut. Neben dem Theaterspielen ist nämlich auch das Reisen eine große Leidenschaft des jungen Künstlers. Am liebsten würde er Japan sehen, denn diese Kultur fasziniert ihn einfach. Leider fährt eine andere Thikwa-Produktion, in der er nicht dabei ist, demnächst dahin. Aber vielleicht schafft auch Max es einmal, als Theater Thikwa-Schauspieler das Land der aufgehenden Sonne zu besuchen, wenn er lang genug dabei ist. Bis dahin genießt er noch die letzten Tage bei Grenzenlos Kultur und schaut sich viele andere Produktionen an. Für die Zukunft der integrativen Theaterarbeit hat Max klare Wünsche: “Ich finde die Idee dieses Festivals gut. Allerdings sollte integrative Theaterarbeit in Deutschland zur Normalität werden und nicht nur im Rahmen von Festivals Aufmerksamkeit finden.”

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