Schlaglichter auf 25 Jahre inklusive Theaterarbeit – Ein Fachtagbericht

„Fachtag: 25 Jahre Inklusion in den Darstellenden Künsten“, so lautet die blaue Überschrift auf dem Programmzettel. Ausgerüstet mit Namensschild, Kaffee und analogem Schreibwerkzeug suche ich an einem der kleinen runden Tische Platz. Da ich niemanden kenne und ich keine Person bin, die zufrieden da sitzen und selbstbewusst Löcher in die Luft starren oder Menschen offen beobachten kann, studiere ich alibimäßig den Zeitplan für heute, obwohl ich ihn schon kenne. Eine Frau fragt freundlich, ob sie sich zu mir setzen kann, ich bejahe, stelle mich vor, lerne Astrid – so nenne ich sie jetzt mal – kennen und fühle mich nicht mehr ganz so fremd im Raum.

Praktische Einblicke und konkretes Lernen

Gelebte Barrierefreiheit an diesem Tag ist unter anderem: die Übersetzung in deutsche Gebärdensprache, die Existenz eines vorbereiteten Ruheraums und die kurzen Selbstbeschreibungen der Redner*innen. Die Selbstbeschreibung klingt in der Umsetzung simpel, was sie im Grunde auch ist. Aber in den späteren Tischgesprächen wird deutlich, dass da durchaus noch große Zurückhaltung, Hemmung oder Unbedachtheit in Anwesenheit einer sehbehinderten Person vorhanden ist. Sei es, weil sich bei unserer Runde mit der Geheimen Dramaturgischen Gesellschaft (GDG) dann z.B. nur eine Teilnehmerin von ungefähr zehn Anwesenden für Manuela Schemm selbst beschreibend vorstellt oder sei es, weil ihr dann unbewusst nur nickend und gestikulierend geantwortet wird.

Manuela Schemm, Vincent Kresse und Julia Kizhukandayil sitzen auf dem Podium, hinter ihnen wird eine Beamer-Präsentation an die Wand geworfen. Vincent Kresse hält ein Mikrofon in der Hand und ist am Reden.
Manuela Schemm (li) und Vincent Kresse (mi) von der Geheimen Dramaturgischen Gesellschaft bei ihrem Input, neben ihnen (re) Julia Kizhukandayil (ASSITEJ), Foto: Holger Rudolph

Ein Punkt, den Manuela Schemm in ihrer Arbeit im Bündnis PERSPEKTIV:WECHSEL[i] positiv erlebt hat. Als blinde Person hat sie das Arbeitsfestival SPURENSUCHE (2022) ohne Assistenz begleitet, um der Veranstaltung Barrieren aufzuzeigen. Im Laufe der Zusammenarbeit entwickelte sie mit den Veranstalter*innen ein Format für sehbehinderte Menschen, das Zugänglichkeit fördern soll. Manuela Schemm erzählt, dass es durch die Selbstbeschreibungen der Podiumssprecher*innen auch für die Festivalbesucher*innen selbstverständlich wurde, sich ihr im persönlichen Gespräch zunächst optisch selbstbeschreibend kurz vorzustellen und visuelle Antworten wie Nicken für sie zu verbalisieren.

Ein Sprint durch die Geschichte(n)

Kulturjournalist Georg Kasch gibt uns zu Beginn des Fachtags einen Entwicklungsabriss zu Inklusion in den Darstellenden Künsten der letzten 25 Jahre. Er referiert über die Wichtigkeit der Professionalisierung von Theatermachenden mit Behinderung, über Vor- und Nachteile des Werkstattsystems, Prozesse der Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen aus der Freien Szene mit etablierten Institutionen, über ambivalente historische und aktuelle Strategien wie der „Freakshow-Ästhetik“ und progressive Innovations- und Transformationsimpulse, die aus der Freien Szene bis in gesellschaftliche und institutionelle Strukturen hineinwirken.

Georg Kasch steht auf dem Podium an einem Rednerpult mit Mikrofon, hinter ihm ein Beamerbild an der Wand.
Georg Kasch während seines Vortrags auf dem Fachtag, Foto: Holger Rudolph

Im anschließenden Gespräch zeichnet Festivalgründer Andreas Meder ein anekdotisches Bild zur Geschichte des Festivals Grenzenlos Kultur. Beginnend mit dem Warum? und Wie? der Festivalgründung hören wir von einer Zeit, in der insbesondere für Künstler*innen mit kognitiver Behinderung die Sichtbarkeit der Bühne gesucht wurde, um zu zeigen, dass sie künstlerisch noch zu wenig Wahrnehmung in der Gesellschaft bekommen. Laut Andreas Meder existiert heute ein größeres Selbstbewusstsein und auch nicht mehr so stark das Gefühl, sich beweisen zu müssen. Auch die äußeren Umstände des Festivals haben sich verändert: So wäre das KUZ heute als Spielort nicht mehr denkbar, da sowohl Technikaufwand als auch z.T. die Größe der Bühnenbilder der anfänglichen Spielfläche wortwörtlich entwachsen sind. Er betont deshalb auch mehrfach, dass das Festival mit dem Umzug ins Staatstheater Mainz im doppelten Sinn im Herzen der Stadt gelandet sei.

Was bleibt?

Nach einer Mittagspause gab es die Möglichkeit an vier Tischen mit unterschiedlichen Ansprechpartner*innen ins Gespräch zu kommen. Am ersten Tisch berichteten Friederike Jaglitz und Simone Burckhardt über ihre Arbeit im Hamburger Kollektiv Meine Damen und Herren, am zweiten kamen wir mit Julia Kizhukandayil (ASSITEJ), Vincent Kresse (GDG) und Manuela Schemm (GDG) über das Bündnis PERSPEKTIV:WECHSEL ins Gespräch, am dritten Tisch widmete sich Staatssekretär Prof. Dr. Jürgen Hardeck (Kulturministerium, ehemals Leiter Kultursommer RLP) kulturpolitischen Fragen wie dem Kulturentwicklungsplan Rheinland-Pfalz und am vierten und letzten Tisch sprach Georg Kasch über kritische, barrierearme Berichterstattung sowie Presse und Öffentlichkeitsarbeit.

Friederike Jaglitz, Simone Burckhardt und Sarah Verena Bockers sitzen an einem runden Tisch auf dem Podium. Auf dem Tisch stehen zwei Glasflaschen mit Wasser, Friederike Jaglitz greift nach einem Wasserglas.
Friederike Jaglitz (li) und Simone Burckhardt (mi) sprechen über die kollektive Arbeitsweise von Meine Damen und Herren, neben ihnen die Gebärdensprachdolmetscherin Sarah Verena Bockers, Foto: Holger Rudolph

Interessante Tischgespräche, die allerdings zeitlich leider zu kurz kamen und viel zu rasch vom Programmabschluss abgelöst wurden. Alle Redner*innen wurden ein letztes Mal auf das Podium gebeten, um Zukunftsperspektiven auszusprechen und offene Fragen des Publikums zu beantworten. Dabei wurde auch nochmal die Frage aufgeworfen, ob es nicht ein Ziel des Festivals Grenzenlos Kultur sein müsse, sich im positiven Sinne „selbst abzuschaffen“. Kein klares ja, kein klares nein, denn es gehe weniger um ein Abschaffen als darum selbstverständlich zu werden, auch in dem Sinne, als dass Künstler*innen mit Behinderungen irgendwann nicht mehr vornehmlich bei den Festivals der Lebenshilfe Kunst und Kultur gGmbH (zu dem auch Grenzenlos Kultur gehört), sondern eben auch bei anderen Festivals regelmäßig aufgrund ihrer künstlerischen Qualität eingeladen werden. Solange dies nicht so ist, ständen gesellschaftspolitischer Nutzen und Eigenwert des Festivals als Begegnungsort und Austausch weiterhin im Zentrum.

Simone Burckhard schließt damit zu bekräftigen, was für eine Errungenschaft es sei, dass Festivals wie Grenzenlos Kultur mit etablierten Institutionen kooperieren und Künstler*innen so daran anknüpfende Privilegien mitnutzen könnten. Gibt aber auch gern zu, dass es manchmal ruhig auch ein wenig „back to Punk Rock“ im Sinne der KUZ-Zeit geben könne. Also mutig bleiben und auch immer mal wieder andere Orte aufsuchen.

 

Weiterführende Links zum Nachlesen:

UN-Behindertenrechtskonvention

Deutsches Institut für Menschenrechte

UN-Behindertenrechtskonvention Info

Journalistischer Tipp

https://leidmedien.de/ 

 

[i] Das Bündnis PERSPEKTIV:WECHSEL ist ein Zusammenschluss von Künstler*innen, freien Theatern und der ASSITEJ (Internationale Vereinigung des Theaters für Kinder und Jugendliche). Ein Teil der Zusammenarbeit sind sogenannte „künstlerische Hausbesetzungen“, welche die Reflektion eigener Privilegien beinhaltet sowie Strukturen benennen und verändern soll. Manuela Schemm hat im genannten Beispiel das Festival SPURENSUCHE (2022) „besetzt“, welches den Schwerpunkt Barrieren für Menschen mit einer Seh- und/oder Hörbeeinträchtigung gesetzt hatte.