Lange, blonde Locken, Jeansjacke, darunter ein dünnes Kleidchen – Autor, Regisseur und Schauspieler Dennis Seidel ist noch in Kostüm und Make-up, als er nach sich der Vorstellung von „Zehn Meter in den Wilden Westen“ den Publikumsfragen stellt. Das Stück, ein Frauen-Western-Musical, erinnert insofern an Karl May, als auch Seidel alle seine Geschichten in Amerika verortet, ohne selbst jemals dort gewesen zu sein. In „Zehn Meter in den Wilden Westen“ allerdings thematisiert er das auch: Er selbst tritt als die Autorin Christina Johnsson auf, deren Figuren sich verselbstständigen – Fiktion und Leben durchdringen einander.
Seidel, der Schöpfer, Regisseur und Erzähler dieses Komödien-Dramas, ist seit 16 Jahren Mitglied von Meine Damen und Herren in Hamburg. Das 1995 gegründete Theaterensemble von professionellen Schauspielern mit geistiger Behinderung war schon mehrfach bei Grenzenlos Kultur zu Gast. Zuletzt mit „Der Tag, an dem Kennedy ermordet wurde und Mimi Kennedy Präsidentin wurde“, ebenfalls mit Seidel in der Dreifachrolle als Autor, Regisseur und Hauptdarsteller*in.
Seine Texte schreibt Seidel allein und wählt ebenso die richtigen Besetzungen für die Rollen aus. Immer treten dort auch Barbies auf. In „Zehn Meter…“ nicht nur als 90-60-90 Plastikpuppe, sondern auch im Text einer musikalischen Einlage von Fee Kürten sowie in Form von zwei Hauptrollen, die wirken, als wären die langgliedrigen Puppen zum Leben erwacht.
Beide Schauspielerinnen sind durch ein Casting zum MDuH-Team dazugestoßen, erzählt das Kollektiv im Nachgespräch zur Vorstellung. Seidel wollte „echte Barbies“ in den Rollen seiner Hauptdarstellerinnen. Also wurde mit Hilfe von Internet-Bildern nach den gewünschten Model-Profilen gesucht. Gefunden haben sie Dasniya Sommer und Solène Garnier für die Rollen der guten und der bösen Cowgirls – Mehrzahl. Denn in Seidels Western werden alle Rollen mal erschossen – und kehren als ihre Schwestern mit Rachlust wieder. Immerhin versucht Melanie Lux immer wieder, dem Publikum die Verwicklungen zu entwirren.
Auf die Frage eines Zuschauers, warum es denn nur Frauenrollen gäbe, nimmt Seidel erstmal demonstrativ seine Perücke ab und antwortet: „Weil Western sonst immer nur mit Männern sind“. In keiner der 18 Fassungen des Stückes treten Männer auf. Selbst das sprechende Pferd, unter dessen Kostüm ein männlicher Schauspieler steckt, ist weiblich.
Seidels Stück wurde häufig umgeschrieben, während der Proben gab es auch den ein oder anderen Zickenkrieg zwischen den Darsteller*innen. Dennoch ist Seidel sehr stolz auf seine Crew. Jedes Mal, wenn eine*r seiner Mitspieler*innen zum Nachgespräch frisch abgeschminkt dazustößt, präsentiert er sie euphorisch. Ob er mal ein Stück mit Männerrollen verfassen würde? Seidels Antwort ist klar: „Nein – oder wenn, dann mit Frauen!“