Ein wilder Spaß: “Der Besuch der verknallten Dame” von Das Helmi und Theater HORA
Lasziv streicht sich Leonie mit ihren Händen über den Körper, während sie in der Mitte der Bühne auf die Knie geht. Lester robbt um sie herum, so hin und weg ist er von ihr. Eine Darstellerin steht auf einem Stuhl und lässt rosa Blütenblätter auf Leonie regnen. Die ikonische Szene aus dem Film American Beauty erwacht zum Leben.
Die Berliner Kult-Puppentruppe Das Helmi und das Zürcher Theater HORA zeigen beim Festival Grenzenlos Kultur vol. 19 ihre Produktion “Der Besuch der verknallten Dame”, eine Tragikomödie mit Menschen und Schaumstoffpuppen. Die Assoziation zu “American Beauty” kommt nicht von ungefähr. Erst spielt sich die Geschichte des preisgekrönten Films auf Güllen ab, hier eine Insel, später geht sie über in Dürrenmatts Drama “Der Besuch der alten Dame”. Wer aufmerksam ist, entdeckt noch zahlreiche weitere Anspielungen.
Lester, gespielt von Felix Loycke, ist unzufrieden mit seinem Leben. Alles ist ihm mühselig geworden. Seine Ehe steht vor dem aus, die Tochter ist ihm gleichgültig. Erst als er deren Freundin Leonie kennenlernt, erwacht in ihm wieder etwas und er setzt alles daran, sie für sich zu gewinnen. Als Leonie ein Kind von ihm bekommt, verstößt sie das Dorf und sie muss fliehen. Jahre später kehrt sie als reiche Frau zurück nach Güllen und stellt die mittlerweile verarmte Gemeinde vor eine Wahl: Wenn Lester stirbt, gibt’s Geld. Als die Einwohner auf einmal zu neuem Reichtum kommen, weiß Lester, dass sein Schicksal besiegelt ist.
Was dramatisch klingt, erzählen die Helmis und die HORAs mit einem selbstironischen Augenzwinkern. Die beiden Gruppen haben eine eigene, komische Erzählweise gefunden, die die Vorlagen ironisiert. Dafür sorgt nicht zuletzt Emir Tebatebai. Er raunt mit trockenem Humor und umgangssprachlicher Sprache Lesters Gedanken ins Mikro: “Aber was soll’s!” Später grummelt er sich als Erzähler durch die Handlung und schlüpft in verschiedene weitere Rollen wie die des Bürgermeisters.
Auf der rechten Bühnenhälfte hängen bunte Kostüme auf einer Stange. Links stehen Musikinstrumente, mit denen verschiedene Darsteller in wechselnden Konstellationen zwischen Kuschelrock, Pop-Klassikern wie Billie Jean und Atmosphären wie das Rauschen einer Regennacht zaubern.
Die Inszenierung punktet mit zahlreichen witzigen und kreativen Einfällen: So wird etwa eine durchsichtige Folie vor Lester zur Dusche, ein anderes Mal illustriert Gianni Blumer als Johnny mit einer Gießkanne das Urinieren für die Drogenprobe. Prägend sind außerdem die großen, ulkigen Schaumstoffmasken in typischer Helmi-Manier und die zahlreichen Tanzszenen. Als Johnny seinem Nachbarn Lester einen riesigen Joint bringt, entwickelt sich der Rausch zur schmissigen Reggea-Nummer mit Breakdance-Einlage. Schaumstoffgestalten und Schleiermenschen treiben ihr Unwesen; Loycke taumelt oberkörperfrei mitten hindurch.
Im Gegensatz zu dieser sehr langen Rauschszene wird die Handlung von Dürrenmatts Drama im zweiten Teil nur angedeutet und kommt im Vergleich zur Geschichte aus “American Beauty” etwas kurz. Lester ist zum Aussteiger geworden und betreibt mit dem Ex-General eine Pferdezucht – “Brokeback Mountain” auf der Güllener Alm. Den plötzlichen Reichtum feiern die Dorfbewohner mit einer Poolparty: Zu afrikanischem Pop legen sie sich Goldketten um und tanzen fröhlich umher. Am Ende wird Lester verschlungen von Schaumstoff-Zombies. Black.
Für Glanzpunkte sorgt vor allem Alfred-Kerr-Preisträgerin Julia Häusermann als Leonie. Schlagfertig und wunderbar hochnäsig spielt sie ihre Rolle, berührt mit ihrem klagenden Schluchzen und beeindruckt nicht zuletzt mit schwingenden Hüften beim Cheerleader-Wettbewerb. Auch Performerin Dasniya Sommer brilliert mit ihren langen Beinen und vollster Körperbeherrschung gerade in den Tanzszenen. Bedauerlicherweise wirkt ihr HORA-Kollege Gianni Blumer als Johnny manchmal geradezu ausgestellt, wenn er etwa den Choreografien nicht hinterherkommt. Sollte das Ensemble nicht eher die individuellen Stärken ihrer Darsteller hervorheben statt ihrer Schwächen?
Der Chefkomiker des Abends, Emir Tebetebai, wiederum sorgt für viel Gelächter im Publikum. Seine Figur gehört zu den gelungenen Einfällen der Inszenierung. Allerdings überlappen sich seine Bemerkungen oft mit den Dialogen seiner Mitspieler, sodass nur einer von beiden oder sogar niemand mehr zu verstehen ist. Allzu oft scheint er seinen Text zu improvisieren und wirkt daher stellenweise unprofessionell. So wie der gesamte Abend bei allem Witz oft chaotisch wirkt. Dennoch bietet Der Besuch der verknallten Dame einen sehr unterhaltsamen Abend mit großartigen Pointen, der trotz seiner Schwächen mit knallbunter Kreativität überzeugt.