Mein Schmerz, seine Form und ich

Hannah McPake verleiht den realen Erfahrungen von Regisseurin Rachel Bagshaw Körper und Stimme – Foto: Holger Rudolph

Contra: Wie setzt man etwas Unsichtbares in Szene? Zum Beispiel das komplexe regionale Schmerzsyndrom? Ein fürchterlich langes Wort, eine kaum begreifbare Erkrankung. In “The Shape of the Pain” schildert eine Betroffene, was das bedeutet: Regisseurin Rachel Bagshaw versucht ihre Erfahrungen mit physischem Schmerz, der keine konkrete Ursache hat, in Worte zu fassen.

Die Blackbox des U17 ist schwarz: Eisengraue Platten umschließen im Halbkreis die schwarz gekleidete, junge Schauspielerin Hannah McPake, die Bagshaw zum Sprachrohr ihrer fiktionalisierten Erfahrungen macht. Ein Monologstück des britischen Kollektivs China Plate, das, so verrät es das Programmheft “für eine breite Zuschauergruppe zugängliche Theaterarbeiten schaffen” will.

Unbeschreiblicher Schmerz

Schnell wird klar, dass sich für den Schmerz kaum Worte finden. McPake, die solide, streckenweise hyperexpressiv agiert, packt allerlei Metaphern aus, um die Erkrankung und deren Auswirkung zu beschreiben. Die sind mitunter sehr anschaulich, ermüden aber bald. Wäre da nicht der Mann, den die weibliche Figur dieses Monologs kennenlernt: Er sorgt für Irritation, einfach weil er nicht um jeden Preis verstehen will, sondern stumm akzeptiert, dass seine Freundin mit etwas Unbeschreiblichem lebt. Tagtäglich, rund um die Uhr. Der Schmerz ist immer da, sie braucht deswegen keinen Gedanken an ihn zu verschwenden. Er drängt sich auf, hat sich wie ein Dämon eingenistet, der manchmal schlummert, um irgendwann auszubrechen. Die Liebesgeschichte bringt ein wenig Komik mit sich und lockert das deprimierende Thema auf. Die Figur ist schnell im Zwiespalt. Sie weiß noch nicht damit umzugehen, dass jemand sie einfach so liebt und das Unbegreifliche an ihr akzeptiert.

Die Inszenierung macht aber mit ihrer dunkel dräuenden Konsequenz jeden unbeschwerten Moment zunichte, der dann und wann aufkeimt. Und damit auch den Versuch, die Figur als komplexen Menschen zu zeichnen. Einmal bricht sie aus aus ihrem Kreisen um den Schmerz: Auch sie hat Eigenschaften und Interessen, die nichts mit ihrer Krankheit zu tun haben, hat gute Tage, kann lachen. Die Scheinwerfer jedoch zaubern McPake fast immer zwei Schatten herbei, die die Metaphorik auf die Spitze treiben: Wie ihrem Schatten kann die Figur auch ihrem Schmerz nicht entkommen. Sie ist gefangen. Das Leben reduziert sich zu dieser Blackbox mit einer dunklen Wand aus Platten und vielen Lichtprojektionen, die unterschiedliche Stimmungen einzufangen versuchen. Dazu legt die Klangspur Fährten in den Schmerz: Es wummert, sirrt, fiept aus den Boxen.

Wie ihrem Schatten kann die Figur auch ihrem Schmerz nicht entkommen
Wie ihrem Schatten kann die Protagonistin auch ihrem Schmerz nicht entkommen – Foto: Holger Rudolph

So stellt sich oft der Eindruck eines Hörspiels ein, unterstützt dadurch, dass die Inszenierung Audiodeskription und Übertitelung, hilfreich für Menschen mit einer Hör- und Sehbehinderung, als künstlerische Mittel integriert. Zu Beginn beschreibt McPake die Bühne und die Inszenierungsstrategien, was der Sache allerdings zusätzlich Spannung und Mehrdeutigkeit nimmt. Überhaupt werden die Einfachheit und die damit zusammenhängende klare Bildsprache dem Thema nicht ganz gerecht. Es fehlen weitere Impressionen der Figur und ihrer Lebensgeschichte, die Bagshaw nicht so vielschichtig und gegensätzlich darstellt, wie sie es offensichtlich wollte.

Trotz mancher unterhaltsamer, witziger Momente wirkt der 90-minütige Abend so etwas langatmig. Das ist zu viel Auf- und Erklärung, zu viel Fokus auf die Erkrankung. Einmal sagt die Figur, sie müsse sich nicht daran erinnern, Schmerzen zu haben, denn man müsse sich nicht an etwas erinnern, das ständig passiert. Genau das tut sie aber fast durchgängig. Bagshaw kann sich nicht entscheiden, wie sie ihre Erkrankung verhandeln will: Als Gefängnis, aus dem sie rausschaut? Als bösartigen Begleiter, als Dämon im Nacken? Als unangenehme Klang-Vibrationen? Vielleicht aber auch einfach so: als Unbehagen, mit dem man das Theater verlässt. Dann wäre ihr Ziel erreicht.