Torsten Holzapfel liebt U-Bahnen, Berlin und das Theater. Ein Porträt
Eben war Torsten Holzapfel beim Essen noch ins Gespräch vertieft, da stimmt er plötzlich “Mein Freund hat eine Zille” an, einen Gassenhauer im breitesten Berlinerisch. Mal murmelt er es im Sprechgesang vor sich hin, mal trällern andere am Tisch mit. Und weil nicht alle wissen, was eine Zille ist, erklärt er es: “Ein kleines Segelboot!” Ebenso, dass “Spandau bei Berlin” 1920 nach Großberlin eingemeindet wurde. Sein Faktenwissen, das er runterasselt wie bei einer Prüfung, ist enorm.
“Mein Freund hat eine Zille” singt er auch in “Hindernisse auf der Fahrbahn”, eine Produktion des Berliner Theater Thikwa über Texte von Ernst Herbeck (1920-91), der die Hälfte seines Lebens in der Niederösterreichischen Landesnervenklinik Gugging verbracht hat und auf ärztlichen Rat hin Gedichte schrieb. Heute Abend gastiert die Produktion bei Grenzenlos Kultur vol. 18.
Holzapfel liebt Berliner Gassenhauer. Und die U-Bahn. Was man unschwer an seinem T-Shirt erkennt, auf dem das Moskauer U-Bahn-Netz abgebildet ist. Holzapfel macht viele Witze, wirkt lebensfroh. Dabei sind die Erinnerungen an seine Kindheit und Jugend gar nicht toll, wie er erzählt. Bis zu seinem 20. Lebensjahr wuchs er in Heimen und Psychiatrien auf, wo er Gewalt erlebte. Schließlich landete er im Jugendwerkheim Zehlendorf, wo man lernt wieder ins Leben und den Alltag einzusteigen. Hier kam er zum ersten Mal mit Theater in Berührung und fand Spaß daran. Hier traf er auch Christine Vogt, Mitgründerin des Theater Thikwa. Sie fragte ihn, ob er bei ihrem Projekt mitmachen wolle, woraufhin er 1991 Mitglied der inklusiven Theatergruppe Thikwa wurde.
Zunächst arbeitete er weiterhin als Maler und Lackierer, seinem gelernten Beruf, weil die ersten Thikwa-Inszenierungen als Freizeitprojekte entstanden. 1995 konnte Thikwa endlich Teil des Werkstattsystems werden und darüber seine Schauspieler fest engagieren. Jetzt erst wurde Holzapfels Hobby zum Beruf. Seitdem ist er aus dem Ensemble nicht mehr wegzudenken. Besonders gerne erinnert er sich an die Inszenierungen von Shakespeares “Sommernachtstraum”, einmal in einer modernen und einmal in einer klassischen Fassung, und an “Sturzflug – Lachforschung mit Texten von Karl Valentin” zurück. Anerkennung, Applaus, einfach dabei sein – das sind die Dinge, die Holzapfel so sehr am Theaterspielen liebt.
Seine zweite große Leidenschaft, das Interesse für die U-Bahn, entdeckte er schon in seiner Jugend. Im vergangenen Jahr war er mit einem wunderbaren U-Bahn-Abend, den er zusammen mit Martin Clausen entwickelte, bei Grenzenlos Kultur zu Gast. Begeistert lobt er die Leistung der Menschen, Bahnen unter der Stadt fahren zu lassen. Er nennt das U-Bahnnetz liebevoll die „Pyramiden der Moderne“. Spätestens als er beschreibt, welche U-Bahnstationen in Berlin mit Graffiti besprüht sind und welche nicht, welche Fliesen und Farben an welcher Station verlegt sind, wird klar: Der Mann kennt sich wirklich aus.
Als “Friedensdiktator”, eine erfundene Rolle, die er gerne mal spielen würde, würde er den “totalen U-Bahnbau” ausrufen und für U-Bahnrohre anstelle von Kanonenrohren plädieren. Sein Slogan: “Wir sind nicht rechts, links oder Mitte. Wir sind tief verwurzelt. Baut nur U-Bahnen!“ Dass Holzapfel nicht nur ein sympathischer, sondern auch ein friedliebender Kerl ist, wurde schon in der Performance “Together Forever” deutlich, bei der Holzapfel als Gastgeber mitwirkte. Am Ende, als sich alle an den Händen fassten, plädierte er für ein weltweites U-Bahn-Netz. Und für den Weltfrieden. Bei jedem anderen der anwesenden Performer hätte dieser Aufruf wohlfeil gewirkt, naiv. Bei Holzapfel klang er wie eine Utopie, der man wirklich mal eine Chance geben sollte.