Beim Symposium “Who Cares?” wurde auch über die Zusammenhänge zwischen Geld und Würde diskutiert. Gedanken zu einem bestimmungslosen Grundeinkommen, künstlerischer Armutswürde und einem runden Teilhabegesetz
Die Kreativität ist der Rohstoff des 21. Jahrhunderts, so viel steht nach Panel 4: Grundeinkommen und Sozialstaat beim Symposium “Who Cares?” fest. Sie wächst immer nach, sie ist der Grundstoff für alles Neue, nicht nur künstlerischen, sondern auch bürokratischen Ursprungs. Firmengründungen und Gesetzesentwicklungen bedürfen ihrer ebenso wie der Zusammenschluss von Künstlern zu einem Kollektiv, welches sich dann dem “Artivismus” verschreibt.
Doch der endlose Rohstoff hat einen Haken: die Kreativwirtschaft. Alles muss sich rechnen lassen. Alles muss neu, innovativ, inklusiv, international sein. Die Anträge für Kulturförderungen bei Stadt und Land sind längst zu einem Schutzschild für Künstler geworden, die mehr beantragen und weniger künstlern: “unwürdig” und “beleidigend” nennt Adrienne Goehler (ihr Thema: Grundeinkommen und Kunst) diese Situation – ihre Gedanken fasst sie selbst am besten zusammen: “Künstler sein, ist die würdigste Form, arm zu sein.”
Wirkliches Sparen ist nicht drin
Aber diese Formel funktioniert auf alarmierende Weise auch in die andere Richtung: Armut zwingt zu hochkreativen Anstrengungen, um überhaupt würdig zu sein. Auch hier wirkt Goehlers Wortwahl “unwürdig” und “beleidigend”, wenn sich die Pflege-, Kranken- und Rentenkasse die Kostenpflicht hin- und herschieben und anschließend ans Sozialamt verweisen. Wenn die Erwerbsminderungsrente so vermindert ausfällt, dass zwar Sachleistungen für einen anerkannten Pflegedienst beantragt werden können, die eigentlich sinnvollere 24h-Pflege jedoch nicht. Diese darf nur über das Pflegegeld finanziert werden, das lediglich ein Viertel der notwendigen Personalkosten deckt. Auch ein Gebärdendolmetscher wird nur für die notwendigen Amtsgänge gezahlt, so Matthias Rösch, Landesbeauftragter für die Belange behinderter Menschen Rheinland-Pfalz. Unterhaltung, Theater, Oper – Inklusion also – ist nicht drin. Wer auf sein Recht besteht, auch als Menschen in Würde zu leben, der auf Hilfe angewiesen ist, muss wirtschaftskreativ sein – und rechnen können.
Obendrein scheint ausgerechnet der Gesetzesentwurf zum Bundesteilhabegesetz, der zur Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention vorgeschlagen wurde, zu wenig für eine alltägliche Erleichterung von Menschen mit Behinderung zu tun. Das von der Bundesregierung vorgeschlagene “Vermögen”, das Menschen mit Behinderungen demnach ansparen dürfen, bevor der Staat zuschlägt, beträgt 2.600 Euro – wirkliches Sparen ist so nicht drin, kein Haus, kein Auto, keine Rücklagen für Notfälle. An der Selbstbestimmung von Menschen mit Behinderung ändert das ungefähr soviel, wie die Bezeichnung von Wohnheimen als “gemeinschaftliche Wohnform” an der Attraktivität der farblosen Wohnkomplexe und dem überarbeiteten Betreuungspersonal.
Wer zahlt den Gebärdendolmetscher?
Der unendliche Rohstoff Kreativität aber produziert zugleich weitere Ideen, die auf den Abbau der Fremdbestimmung abzielen. Das durch die Abstimmung in der Schweiz viel diskutierte bedingungslose Grundeinkommen zum Beispiel. Eine imaginäre Summe von 1.500 Euro im Monat für alle Bürger und Bürgerinnen der Bundesrepublik? “Super” findet das Daniel Häni von der Schweizer Kampagne Volksabstimmung Grundeinkommen. 1.500 Euro ohne Bestimmung zu bekommen, unbestimmt nutzen zu können, damit wäre so einiges erreicht. Unklar bleiben allerdings die Details. Dabei müsste gerade hier sehr genau und transparent gerechnet werden, damit sich auch Kritiker vom Modell überzeugen lassen.
Außerdem gewähren auch 1.500 Euro nur dann eine Erleichterung, wenn das “Vermögen” bleibt – und die Unterstützung derer, die sie brauchen. Zum Beispiel von Menschen mit Behinderung: Ein Gehörloser braucht für Amtsgänge einen Gebäredendolmetscher. Und dessen Honorare sind mit einem Grundeinkommen nicht zu bezahlen.
Und was tun die Theater?
Bei all den Befürchtungen eines nicht ganz runden Bundesteilhabegesetzes, einer sich abschaffenden Menschenwürde, die durch die Kunst geschützt wird und der Gefahr, dass ein bedingungsloses, selbst zu bestimmendes Grundeinkommen vor allem zu einer neuen Sparmaßnahme würde – die Frage nach einer Teilhabe betrifft auch andere Akteure als nur den Staat. So darf es nicht am Gehörlosen sein, den Dolmetscher für die Theateraufführung bezahlen zu müssen. Das wäre, als würden Rollstuhlfahrer dazu aufgefordert, in Zukunft bitte selbst mit Rampe anreisen. Um die Fremdbestimmung von Menschen mit Behinderung abzubauen, bedarf es einer Gesellschaft, die die Bedürfnisse ihrer Mitmenschen immer wieder neu in den Blick nimmt.
Es braucht Theater, die sich nicht auf ihrer Barrierefreiheit und ihren Inklusions-Festivals ausruhen, sondern auch Menschen in den Blick nehmen, die sie bislang nicht erreichen konnten, mit allen Barrieren, die sich ihnen stellen. Audiodeskription und Simultanübersetzung bieten zurzeit genau zwei Theater in Deutschland an: das Schauspiel Leipzig und das Staatstheater Braunschweig. Diese Zahl lässt sich ändern – unabhängig von Bundesteilhabegesetz oder bedingungslosem Grundeinkommen.