Happy Birthday, Grenzenlos Kultur! Anlässlich der 25. Festivalausgabe stöbert die diesjährige Blog-Redaktion in den Archiven und hebt besondere Fundstücke noch einmal ins Rampenlicht. Heute entdecken wir eine provokante Sternstunde des inklusiven Theaters wieder: “Dschingis Khan”, eine Zusammenarbeit des Kollektivs Monster Truck mit Performer*innen des Theaters Thikwa aus dem Jahr 2012, in Mainz zu Gast 2013. Geschlechtergerechte Sprache wurde gegenüber der Erstpublikation angepasst.
Im Publikum bei “Dschingis Khan”. Ein Erlebnisbericht
Was war denn das? Mit sehr gemischten Gefühlen verlasse ich die Performance “Dschingis Khan” von Monster Truck und dem Theater Thikwa. Im Stillen rufe ich mir die Bilder und Gefühle noch mal hervor, die ich währenddessen empfunden habe: Den Befehl an die Performerin Sabrina Braemer, sich am Ende selbst zu erschießen, nachdem dies bei den beiden anderen Schauspielern gemacht wurde. Oder die wilde Party der drei Protagonist*innen mit Sekt, Chips und lauter Musik. Sehr lauter Musik. Manche Zuschauer*innen halten sich die Ohren zu und stöhnen – auch mir fiept es in den Ohren.
Zunächst einmal beginnt „Dschingis Khan“ der Performance-Truppe Monster Truck und dem inklusiven Theater Thikwa mit Anweisungen einer Dame, die im weißen adretten Kostüm am Rande der Bühnenfläche steht. Was sonst im Geheimen geschieht, tritt hier an die Öffentlichkeit: Die Monster-Truck-Performer*innen regeln das Licht, überprüfen die Mikrofone, räumen die Bühne auf. Manuel Gerst, Matthias Meppelink, Sahar Rahimi und Ina Vera verschwinden auch weiterhin nicht. Rahimi gibt den drei Thikwa-Schauspieler*innen Befehle, die sie manchmal schnell, manchmal langsam befolgen. Alles ist sichtbar: die Produktion des Nebels, das Umkleiden und das Vorbereiten der nächsten Szenen. Zwischendurch wird mehrmals die Technik verbessert oder werden Batterien ausgetauscht. Doch das stört die als Mongol*innen verkleideten Thikwa-Performer*innen anscheinend nicht.
Das Sichtbare und Unsichtbare
Bekommen die Darstellenden weitere Anweisungen, ohne unser Mitwissen? Aber nein: Man merkt, dass es nicht ihr erstes Mal ist. Sie wissen, was auf sie zukommt: Bevor das Publikum weiß, was jetzt passieren soll, freut sich Performer Jonny Chambilla bereits auf die Melone, die er auf der Bühne zerstören und danach auch essen darf. Vom Boden. Mir steigen dabei mehrere Gefühle hoch. Irritation und Unsicherheit. Sofort beginne ich mich zu fragen, warum manche meiner Nachbar*innen anfangen zu lachen und schaue auf das Anzeigeschild, welches jeder Szene eine Überschrift gibt: “Das grausame Schicksal unserer Feinde.” Trotzdem kann ich nicht mitlachen, denn ich finde es nicht witzig. Die Ironie ist nicht zu übersehen. Mir ist unbehaglich zumute und gleichzeitig habe ich Respekt gegenüber den Darsteller*innen, so offen mit dem Thema umzugehen, etwas, was in der heutigen Gesellschaft häufig fehlt.
Noch nie habe ich eine solche Performance gesehen. Ich brauche eine Weile, um mich darauf einzulassen. Weitere Szenen mit schriller Musik und wilden Tänzen folgen, auch gefährliche Momente: Hinter mir höre ich ein Aufstöhnen, als einer der Thikwa-Schauspieler mit Pfeil und Bogen auf den Kopf seines Mitspielers zielt, dessen Augen geschützt werden. Hier geht es um Konfrontation. Hier geht es um uns. Wie reagieren wir auf das Geschehen auf der Bühne und welche Gefühle rufen sie in uns wach? Manche im Publikum lachen und klatschen, andere schauen sich um, wie der Rest reagiert, wieder andere zeigen keine Reaktionen.
Die Mongolenfrau winkt ab
Plötzlich ändert sich das Konzept. Das Monster-Truck-Team, das bislang die Ansagen und Technik machten, verschwindet; zurück bleiben die drei Thikwa-Performer*innen. Jetzt ist die Hölle los auf der Bühne. Drei Schauspieler*innen, die vorher zur Schau gestellt wurden, stellen sich nun selbst aus, reizen alle Klischees und Grenzen aus. Die Musik dröhnt noch lauter, wird immer wieder an- und ausgemacht. Die Schauspieler*innen laufen in den Zuschauerraum, küssen das und spielen mit dem Publikum. Auch sorgen sie für Humor auf der Bühne. Es kommt mir vor, als würden sie auf uns warten. Darauf, dass wir mitmachen oder sie stoppen. Ein Zuschauer verlässt den Raum, weitere stehen auf. Ist die Performance zu Ende?, frage ich mich, doch Performerin Sabrina Braemer winkt ab.
Nach gefühlt langer Zeit kommt die “Leitung” wieder zurück. Ich verspüre Erleichterung, kann aber nicht sagen warum. Viele Faktoren spielen eine Rolle: Die Szene bzw. der Umschwung war zu lang und der Sinn der verwirrenden Tänze und sexuellen Anspielungen erschloss sich mir nicht. Mir ist bewusst, dass sie das Bild, welches viele von Menschen mit Down-Syndrom haben, überspitzen und kritisieren. Eine überragende Idee. Außerdem gibt es viele gute Szenen, die genau das ausdrücken und vor allem zeigen, dass die Klischees nicht stimmen. Eines zumindest bewirkt dieser Abend sicher: Man setzt sich mit seinem eigenen Bild von Menschen mit Down-Syndrom auseinander.
Mehr zu Monster Truck und ihrer Performance “Dschingis Khan”? Hier finden sie ein Porträt der Gruppe.