Flirten? Ist doch einfach, sagt Kathrin-Marén Enders. Ihr Konzept, wie man am Besten seinem Gegenüber Interesse signalisiert? Erst mal lockern: Sie lässt die Schultern kreisen, schüttelt die Beine, zieht ihre Gesichtsmuskeln in die Länge. Jetzt: Körperhaltung! Um sich seinem zukünftigen Flirt-Partner ohne Komplikationen zu öffnen, hat Kathrin ein Trick, den die Zuschauer*innen auch gleich ausprobieren: die Daumen horizontal nach vorne strecken, diese wieder neben die Hüften positionieren und die Handflächen öffnen. Dann den Kopf in Schräglage bringen und lächeln – schon kann nichts mehr schiefgehen. Wirklich? Kathrins Testperson Tümay ist nicht begeistert. Sie vermittelt mit verschränkten Armen und runzelnder Stirn pures Desinteresse.
Regisseurin Wera Mahne hat mit ihrem Team aus tauben und hörenden Darsteller*innen eine Online-Recherche rund um das Thema Flirten gestartet. Das Ergebnis präsentieren sie in der Produktion „FLIRT“. Im Zusammenspiel zwischen Laut- und Gebärdensprache, mit Körpersprache, Blickkontakt und vielen spielerischen Situationen probieren die vier Darsteller*innen Kathrin-Marén Enders, Pia Katharina Jendreizik, Tümay Kilincel und Pavel Rodionov aus, wie weit man beim Flirten kommt. Schon beim Einlass suchen sie den direkten, lächelnden Augenkontakt. Unangenehm? Ein wenig.
Auf der Bühne, die mit ihren wenigen Elementen in knalligem Neonpink wie eine poppige Testküche für das richtige Flirt-Rezept wirkt, probiert Pia mit ihrer „Lächelliste“ aus, wie man mit dem richtigen Lächeln flirtet: „Freu dich mal, als ob du etwas gewonnen hättest.“ „Oder schau Verlegen von unten herab, wie als ob du in einen Hundehaufen getreten bist.“ Katrin versucht zunehmend verzweifelt, mit ihren Grimassen Schritt zu halten.
Nach derart fröhlichen Testläufen schlägt Mahnes Inszenierung einen etwas ernsteren Ton an. Pavel, gekleidet in einem gleitenden Reifrock, stellt Fragen, die sonst eher Frauen betreffen, hier aber plötzlich beide Geschlechter zu betreffen scheinen: Welche Signale können falsch verstanden werden? Nur wenn ich jemanden anlächle, heißt es nicht automatisch, dass ich mit dieser Person ins Bett steigen möchte.
Sein Monolog wird unterstützt durch projizierte Übersetzungen. Gespannt wandern die Blicke der Hörenden von Pavel zur den Projektionen und wieder zurück, während er davon spricht, dass die Gebärde für „Frau“ entweder einen Ohrring, eine weibliche Brust oder einen Stöckelschuh abbildet. Dann müsste die Gebärde für „Mann“ automatisch Schwanz sein, oder? Nein – sie symbolisiert einen Hut. Warum? Weil der Mann immer der ist, der den Hut aufhat, die Macht besitzt?
Nach diesem berührenden Monolog kehrt der Abend zu seiner locker-flockigen Grundstimmung zurück: Mit poppiger Hintergrundmusik – „Feels“ von Calvin Harris – holen die Darsteller*innen erst vereinzelt Zuschauer, dann den ganzen Saal auf die Bühne, damit sie mit ihnen fremden Menschen ins Gespräch kommen, vielleicht auch zum Flirt. Alle bekommen Smoothies gereicht, die vorher live gemixt wurden. Das Festivalpublikum plaudert, macht Fotos mit ihrem neuen Flirtgesicht – und geht dann nach einigen Minuten entspannter Party mit einem Wippen aus dem Saal.