Schmeißt das Konzept weg!

Irgendwas hat die Gruppe I can be your translator aus Dortmund richtig gemacht: Ihr aktueller Abend „Das Konzept bin ich“ wurde von der Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ gefördert, von der Stadt Dortmund, dem Fonds Soziokultur, der LAG NW, der DEW 21 und dem Land NRW, erhielt beim Favoriten Festival als eine von vier Produktionen die mit 10.000 Euro dotierte Auszeichnung Ground Support und tourt seitdem durch Deutschland, durch Freie-Szene-Säle, Staatstheater, Festivals. Warum hat I can be your translator gerade so einen Lauf?

Das hat viel mit dem konkreten Projekt zu tun. Denn „Das Konzept bin ich“ ist nicht nur ein Abend über Euthanasie. Sondern auch und vor allem über die Herausforderungen, in einer mixed-abled Performance-Gruppe auf Augenhöhe zusammenzuarbeiten. Einen Regisseur, eine Regisseurin gibt es nicht. Alle künstlerischen Entscheidungen wurden in der Gruppe getroffen.

I can be your translator gibt es seit 2011 – zunächst als Band. 2014 entstand das erste Theaterstück. In den letzten Jahren artikulierte sich allmählich der Wunsch, kollektiver zu arbeiten, erzählt Lis Marie Diehl: Bei „Einstein“ haben alle gemeinsam bereits die Texte verfasst. In Sachen Regie aber blieb es bei der traditionellen Aufteilung. Was auch mit der finanziellen Situation zu tun hat: Kollektive Prozesse dauern länger, Recherchen werden durch die Förderungen nicht abgedeckt.

Laurens Wältken, Lis Marie Diehl, Linda Fisahn © geka

Als aber die Stiftung „Erinnerung, Verantwortung und Zukunft“ Gelder zum Thema Verbrechen im Nationalsozialismus ausschrieb, bewarb sich I can be your translator mit einem Antrag auf eine Stückentwicklung, in der es wesentlich darum gehen sollte, dass die Gruppe zusammenfindet, zusammenarbeitet. Überraschung: Das Geld kam!

Also nahm die Gruppe, die aus vier Performer*innen mit und vier ohne Behinderung besteht, an einem Seminar der Uni Dortmund über „leichtes Sterben“ teil. Sie ließen sich von She She Pop-Mitgliedern coachen und vom Dramaturgen Philipp Schulte beraten. Sie besuchten ein Gestapo-Gefängnis, die ehemalige Tötungsanstalt in Hadamar, den Euthanasie-Gedenkort in Berlin.

„Euthanasie ist für mich wie ein harter Stein“, sagt Linda Fisahn. „Mich damit auseinanderzusetzen ist schwierig.“ Sie ist seit etlichen Jahren Teil von I can be your translator. Wenn sie nicht spielt, probt, entwickelt, arbeitet sie in einer Mosterei-Werkstatt, in der Säfte in Demeterqualität entstehen. Mittlerweile leiht diese Werkstatt die Künstler*innen unter ihren Mitarbeiter*innen an die Theatergruppen wie I can be your translator und SEE! aus – bei Lohnfortzahlung.

„Ich habe mich anfangs nicht getraut, in den Keller runterzugehen, wo die Menschen vergast wurden“, sagt Fisahn „Das geht direkt unter die Haut.“ Auf der Bühne sorgt sie für die berührendsten Momente des Abends, wenn sie von ihren Erlebnissen in Hadamar spricht. Meist aber versagt sich der Abend jegliche Betroffenheit, ist viel mehr durchaus provokante Selbstermächtigung, wenn er die Entwicklung der Sozialpolitik und Rechtssprechung nach 1945 in den Fokus nimmt – bis hin zur Pränataldiagnostik-Debatte der Gegenwart.

Oder wenn er auf die Bedingungen ihrer gemeinsamen Arbeit, die Genese des Projekts zurückkommt, den Versuch, auf Augenhöhe zu erzählen. Nach der Recherchephase kam Musiker Christian Fleck dazu, erste Probefassungen entstanden. „Der Start war gut, da haben wir dann geguckt, wie wir das harmonisieren können“, sagt Diehl. „Dann hatten wir die Idee, so weiterzumachen“, sagt Laurens Wältken, der auch den Titel erfunden hat. Immer wieder haben sie gemeinsam diskutiert, aber auch kleine Teams innerhalb der Gruppe gebildet, in denen sie weitergearbeitet haben. Als schließlich die erste Präsentationsfassung, die sich stark an der Entstehungschronologie orientierte, einem Testpublikum gezeigt wurde, war das kollektive Feedback: Schmeißt euer Konzept weg, lasst das so.

Mittlerweile arbeiten sie an ihrem nächsten kollektiven Projekt. Es soll um Gerechtigkeit gehen. Noch sind sie in der Recherchephase. Die Idee: Weil Alltagsgerechtigkeit oft über Spielregeln funktioniert, wollen sie sich dem Thema szenisch über Spiele nähern.