Fast alles ist dunkel. Zwei rote Rechtecke aus Licht brennen sich in die Netzhaut der Zuschauer. Hände erscheinen aus dem undurchdringlichen Schwarz dahinter, schweben zwischen den roten Leuchtröhren, verschwinden wieder. Weitere Körperteile folgen. Ein Mensch wird von einer unsichtbaren Kraft durch eines der Rechtecke geschubst, schaut sich verloren auf der spärlich beleuchteten Bühne um und springt schnell wieder zurück in die rettende Dunkelheit.
Im Licht zu stehen bedeutet gesehen werden in der Tanzperformance „Into the light“ von Hijinx aus Großbritannien und der italienischen Gruppe Teatro la Ribalta. Dieses Im-Licht-stehen setzen die Regisseur*innen Scott Graham und Krista Vuori mit ihrer 60-minütigen Performance beeindruckend in Szene. Abgesehen von den verschiedenen Lichtelementen, mit denen die Performer*innen arbeiten, ist die Bühne im Kleinen Haus des Mainzer Staatstheaters leer. Besonders oft finden zwei leuchtende Rechtecke Einsatz, die entweder am hinteren Bühnenrand stehen oder über die Bühne getragen werden. Sie wirken wie Tore zu einer anderen Welt, durch die die von ihnen beleuchteten Darsteller*innen plötzlich aus dem Nichts auftauchen, sich aus den Schatten schälen. Andauernder Bühnennebel sorgt für mystische Stimmung.
Die Tänzer*innen mit und ohne Behinderung sind pausenlos auf der Suche nach zwischenmenschlicher Nähe. Sie heben einander behutsam in die Luft, ziehen sich an, stoßen einander ab, fallen zärtlich ineinander. Intimität und Harmonie zwischen den Performer*innen prägt die Grundstimmung des Abends. Im Gruppenkuscheln vereint sind sie ein untrennbares Kollektiv – die Darsteller*innen verschmelzen zu einer Einheit.
Doch auch als Individuen finden sie ihren Moment innerhalb der Performance. Ein auf die Bühnenmitte gerichteter Spot taucht einzelne Tänzer*innen ins Licht und beleuchtet deren Innenleben. Die Stimme der jeweiligen Person beantwortet auf Band Fragen rund um das Performen vor Publikum, jede*r auf die für ihn oder sie charakteristiche Weise. Während einer die Möglichkeit anpreist, auf der Bühne ganz er selbst sein zu können und sich zu entfalten, will eine andere vor allem berühmt sein.
Diese sprachlichen Einheiten werden von den Tänzer*innen anschließend durch ihre Bewegungen veranschaulicht. Mal wirbeln sie sich verspielt herum, mal spiegeln sie exakt die Bewegungen ihres Gegenübers oder wiegen langsam in trauter Zweisamkeit. Dabei finden sie unterschiedliche Wege, die anderen oder sich selbst zu illuminieren. Außer den Rechtecken und den Spots nutzen sie noch einen erleuchteten Torbogen, Taschenlampen, deren Strahlen wie große Glühwürmchen über die Bühne hüpfen und zwei Spiegel, mit denen sie Lichtstrahlen reflektieren und umlenken. Mit Letzteren erleuchten sie zwischenzweitlich auch die Gesichter des Publikums und werfen so neue Fragen auf: Stehen wir auch unfreiwillig im Rampenlicht? Ist gesehen werden immer eine bewusste Entscheidung?
Die getanzte Szenencollage zu einem wilden Genremix aus Pop, Rock, Electro und sphärischen Synthesizerklängen thematisiert viel, aber selten vertieft. Die einzelnen Szenen werden durch den treffenden Einsatz der Lichttechnik verbunden. Inhaltlich ist ein roter Faden jedoch nur schwer zu erkennen. Sichtbarkeit, Prominenz, Ausgestelltsein ist genauso Thema wie die Sehnsucht nach Nähe. Der steht dann aber auch mal das Smartphone im Weg.
Die Perfomer*innen beweisen hierbei eine Menge Energie, Ausdrucksstärke und viel Mut zum Pathos. Mit diesem haben sie es gelegentlich übertrieben: Wenn einer der Performer mit seiner gepackten Tasche am Bühnenrand steht, das Gesicht vor Trauer verzerrt, er sich schniefend zum Rest der Gruppe umdreht und dazu ein Tränendrüsensong aus den Boxen dröhnt, kann es einem auch schon mal zu viel werden.
Die Tänzer*innen von Hijinx und Teatro la Ribalta tragen manchmal etwas zu dick auf, berühren aber trotzdem. „Into the light“ ist ein wahres Licht- und Tanzspektakel, das zwar nicht mit einer klaren Botschaft, dafür aber mit sehr viel Gefühl und atemberaubender Ästhetik überzeugen kann.