„Den Weg muss man zusammen gehen“

Jörg Vorhaben ist Schauspiel-Chefdramaturg am Staatstheater Mainz und als Gast- wie als Ideengeber mit für das Festival Grenzenlos Kultur zuständig, das nun schon zum fünften Mal in den Räumen des Theaters stattfindet. Ein Interview über Barrieren in den Räumen und Köpfen und Favoriten des diesjährigen Programms mit dem Motto „Heimat(en)“

Herr Vorhaben, wo fühlen Sie sich heimisch?

In Hamburg. Und als der Schauspieler bei Rimini Protokoll aus Lüneburg einen schönen norddeutschen Akzent hatte, da fühlte ich mich auch gleich heimisch.

Sie sind Chefdramaturg der Sparte Schauspiel am Staatstheater Mainz. Was sind Ihre Aufgaben beim Festival?

Vor dem Festival geht es vor allem darum, dass wir zusammen mit dem Team um Andreas Meder und Silke Stuck das Programm besprechen. Ich selbst besuche viele Vorstellungen, besonders auch im englischen, belgischen und niederländischen Raum. In der Vorbereitung berichtet man sich dann gegenseitig, wo man etwas Interessantes gesehen hat.

Jörg Vorhaben vor dem Kleinen Haus © Georg Kasch

Und während des Festivals?

Es ist natürlich immer wichtig, im Haus einen Ansprechpartner zu haben. Wir haben hier einen durchgetakteten Betrieb in den das Festival für zwei Wochen quasi wie ein Ufo hineinkommt. Wichtig ist, dass die Kollegen über den Stand des Programms informiert sind. Außerdem gehört dazu, dem Publikum Einführungen bei den Vorstellungen im Kleinen Haus zu geben. Viele Theaterzuschauer, die nicht regelmäßig Vorstellungen in der freien Szene sehen, kennen Gruppen wie Rimini Protokoll gar nicht und dann kann es hilfreich sein, deren etwas andere Arbeitsweise vorzustellen.

Warum eignet sich gerade das Staatstheater Mainz als Kooperationspartner für das Festival?

Das Staatstheater eignet sich erstens gut, weil es richtige Theaterbühnen hat, im Gegensatz zum KUZ, wo das Festival in den Jahren zuvor zu Gast war. Dann macht es natürlich eine andere Publikumsschicht auf und es bekommen mehr Leute mit, dass das Festival stattfindet. Es bekommt eine größere Reichweite und einen ganz anderen Verteiler, gerade durch das Symposium, das in Kooperation mit der Dramaturgischen Gesellschaft stattfindet. Was ich ein bisschen schade finde ist, dass es das Festival jetzt schon 21 Jahre gibt und von überregionalen Fachzeitungen noch nicht so wahrgenommen wird, wie es sollte.

Sie waren 2015 dabei, als das Festival zum ersten Mal am Haus stattfand. Was hat sich in den letzten Jahren verändert?

Das ist schwer zu beantworten, weil die Vorstellungen und Themenschwerpunkte natürlich immer ganz unterschiedlich sind. Ich glaube, dass das Festival von unseren Zuschauern stärker wahrgenommen wird, beispielsweise auch dadurch, dass sie im Abo sozusagen auf nette Weise dazu verpflichtet werden, sich die Vorstellungen anzusehen. Dann steigt natürlich auch das Interesse und viele sagen, da geh ich noch mal hin. Aber bei wem das jetzt was wie ausgelöst hat, das kann ich noch gar nicht sagen.

Inwiefern engagiert sich das Staatstheater unabhängig vom Festival für Barrierefreiheit?

Wir im Haus haben gesagt, wenn wir so ein Festival schon haben, dann müssen wir uns da auch mehr anstrengen. Wir haben zum Thema Barrierefreiheit eine Arbeitsgruppe gegründet und mit mehreren Leuten aus verschiedenen Bereichen des Theaters überlegt, was wir machen können. Das sind teilweise ganz einfache Sachen, so zum Beispiel, dass es jetzt im Kleinen Haus, auch für Rollstuhlfahrer Abstellmöglichkeiten für Gläser gibt.

Das barrierfreie Große Haus des Mainzer Staatstheaters © Andreas Etter

Gibt es konkrete Pläne, in nächster Zeit weiter Barrieren abzubauen?

Es wird in einem Jahr einen Umbau im Foyerbereich des großen Hauses geben. Im Augenblick ist es etwas kompliziert durch das Restaurant zu dem Fahrstuhl zu kommen, der dann auch noch recht klein und langsam ist. Das ist ein Thema, das wir angehen wollen. Außerdem zeigen wir seit anderthalb Jahren sechs bis sieben Schauspiel Vorstellungen mit Gebärdendolmetschern. Das sind jetzt so die Anfangsschritte, weitere Pläne müssen dann nach und nach umgesetzt werden.

Besuchen Sie und andere Mitarbeiter vom Haus das Symposium zum Thema Barrierefreiheit?

Wir sind gespannt auf das Symposium und gehen mit sehr vielen Kollegen hin. Die Frage ist natürlich, wie man es schafft, zum Beispiel so etwas wie „relaxed performances“ in den normalen Betrieb zu integrieren . Das sind auch Prozesse, die man mit dem Ensemble zusammen machen muss, weil das natürlich die Schauspieler erstmal irritiert, wenn Zuschauer rausgehen können oder sich anders bewegen. Ich glaube, den Weg muss man unbedingt gemeinsam gehen.

Die Zugänge zu den Zuschauerräumen sind barrierefrei. Wie sieht es mit den Bereichen hinter der Bühne aus?

Die sind auch größtenteils barrierefrei. Das kleine Haus ist relativ neu, ungefähr 20 Jahre alt, da ist alles gut über den Fahrstuhl erreichbar.

Mehrere deutschsprachige Stadttheater, allen voran Darmstadt, haben mittlerweile körperbehinderte Schauspieler*innen fest im Ensemble. Woran scheitert es in Mainz?

Ich würde nicht scheitern sagen, das hängt ja immer damit zusammen, wen die Regisseure kennen und mit wem sie arbeiten wollen. Da gibt es ganz praktisch bis jetzt einfach nicht die Verbindung. Wenn keine künstlerische Vision dazu vorhanden ist, dann ergibt es nicht wirklich Sinn. Es ist auch nicht so, dass ich jetzt sagen würde, wir haben viele Bewerbungen von Schauspielern mit Behinderung bekommen. Ehrlich gesagt kann ich mich nur an eine einzige erinnern in den letzten Jahren.

Müsste man da nicht vielleicht noch mehr „einladen“?

Ja, das ist noch eine Aufgabe für die Zukunft. ich finde vor allem die Frage wichtig, wie man es schafft, dass das eben nicht nur im Rahmen eines Festivals bleibt. Ich habe das Schauspiel Ensemble auch eingeladen, sich die Produktionen anzugucken und es gibt auch ein Gespräch mit einer Gruppe über eine eventuelle Zusammenarbeit. Es braucht ja das Interesse der Spieler, die Lust haben sich auf so einen anderen und teilweise längeren Arbeitsprozess einzulassen. Ich kann das von niemandem verlangen, ich kann nur anregen und zusammenbringen – durch so ein Festival zum Beispiel – und dann etwas entstehen lassen.

Haben Sie einen Favoriten unter den diesjährigen Beiträgen?

Favoriten finde ich ganz schwierig zu sagen, es gibt ja auch Sachen, die ich selbst noch gar nicht gesehen habe. Aber ich bin unglaublich gespannt auf „10 Meter in den Wilden Westen“, weil Dennis Seidel letztes Jahr mit einer Arbeit da war, die ich klasse fand und ich freue mich jetzt sehr, die neue Produktion zu sehen.