Mit großer Macht kommt große Scheiße

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Fall Out Girl (Antonia Labs) und Bartleby (Johannes Geißler) auf der Suche nach Peter Parker alias Spiderman © Holger Rudolph

In ihrer radioaktiven Roadshow “Fall Out Girl” schicken Mass & Fieber Ost ihre Protagonisten auf die Suche nach dem rettenden Superhelden

Da knallt uns Mass & Fieber Ost was vor den Latz. Niklaus Helblings Kreation „Fall Out Girl“ schlägt ein wie eine Atombombe. Und das ist Programm. Fall Out Girl und Bartleby ziehen uns in den Bann ihrer „Radioaktiven Roadshow“ – die gelegentlich an TV-Werbung erinnert, etwa wenn sie das „süße ewige Leben“ anpreist. Vergeblich. Denn ist es doch längst um die Menschheit geschehen. So ist es Fall Out Girl, die das radioaktive Erbe antreten soll. Doch das will sie nicht. Stattdessen begibt sie sich mit Bartleby auf die Suche nach ihrem Mann Peter Parker – auch bekannt als der Spinnenmann. Schließlich ist sie felsenfest davon überzeugt, Spidermans Freundin Mary Jane Watson zu sein. Spiderman wurde der Comic-Legende nach durch den Biss einer radioaktiven Spinne zum Helden – der wird schon wissen, was zu tun ist.

Fall Out Girl strotzt vor Energie und Tatendrang, wohingegen Bartleby, der gescheiterte Comic-Verkäufer, sich lieber in die Thüringer Berge verkriechen möchte, wo er die Welt einfach ausschalten kann. Konträr scheinen sie auch in dramaturgischer Hinsicht: Sie treibt die Story lebhaft voran, indem sie ihn immer weiter dazu anspornt, Peter zu finden. Er bremst die Handlung, was ja schon in seinem Namen steckt, der Herman Melvilles berühmten Verweigerungsheld entlehnt ist. Sei es durch das permanente Anstimmen von Liedern oder das ewige Gestöhne, er wolle in die Berge. Und trotzdem bilden sie ein ausgewogenes Ganzes – nicht zuletzt wegen der schauspielerischen und musikalischen Leistung der Darsteller Antonia Labs und Johannes Geißler: Allrounder beidesamt.

Am Radium lecken – und sterben

Es macht einen Mords-Spaß die beiden auf der Bühne zu verfolgen. So imponiert Labs als Fall Out Girl, das zeitweise im Pikachu-Kostüm steckt, mit einem Wahnsinns-Stimmorgan und überzeugt in Liedern etlicher Musikgenres. Gleichermaßen besticht Johannes Geißler, nicht nur mit seiner Stimme – auch an der E-Gitarre macht er eine außergewöhnlich gute Figur. Neben Eigenkompositionen bringen die beiden Songs in Anlehnung an Schumann, Dylan, Hendrix und Francis Lai auf die Bühne.

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Mit Musik auf Heldensuche © Holger Rudolph

Ansonsten sind es revueartige Showeinlagen, in denen sie unter anderem auf spielerische Weise die Story um die Radium Girls erzählen. Die mussten sterben, weil sie beim Bemalen von Uhren-Zifferblätter mit radioaktiver Leuchtfarbe ihre Pinsel mit der Zunge anleckten, bevor sie sie in die Farbe tunkten, um feinere Linien malen zu können. Die tiefgestaffelten Verweise zwischen Comicwelt, Popkultur und Historie durchschaut man nicht sofort. Da muss man sich im Nachhinein doch etwas einlesen – es sei denn, man ist zugleich Strahlen- und (Pop-)Kulturexperte.

Was belibt, ist der strahlende Müll

Der klapprige Papp-Paravent, den die beiden Darsteller hauptsächlich als Garderobe nutzen, wird hier und da zur Leinwand umgemodelt, auf die sie Videos projizieren. Etwa von Orson Welles (gespielt von Darmstadts Kurzzeit-Schauspielchef Jonas Zipf), der das Publikum über den „Wettlauf mit der Zeit“ aufklärt. Oder aber Marie Curie (sie hat den Begriff „radioaktive Strahlung” kreiert) bekennt, dass sie sich von Strahlen alles versprochen hat. Trotz des spartanischen Repertoires an Bühnenbild und Requisite sind es imposante Bilder, die Labs und Geißler auf die Bühne hauen.

Angeregt von Gedanken darüber, wie es mit der Welt und der Menschheit weiter gehen soll, endet die Reise im Kyffhäuser-Berg, wo eine Mutanten-Version von Donald Duck bereits auf Fall Out Girl wartet. Fix macht er ihr klar, dass sie ihren Peter nicht wiedersehen wird. Der ist mutiert – zur Spinne natürlich. Die bittere Erkenntnis: Spiderman wird uns nicht retten können. So ist es an uns – dazu fordern Mass & Fieber Ost durch die Blume auf –, endlich aus der Ohnmacht aufzuwachen und den Tatsachen in die Augen zu sehen. Denn die noch bitterere Erkenntnis: Politiker werden das auch nicht schaukeln, denn „mit großer Macht kommt große Scheiße.“ Und alles, was bleibt, ist der strahlende Atommüll.