“Man muss das Theater wieder öffnen!”

Anna Barbie (rechts) im Gespräch mit Henriette Buss © Tabea Jassenkoff
Anna Barbie (rechts) im Gespräch mit Henriette Buss © Tabea Jassenkoff

Gesichter des Festivals IV: Die Praktikantin Anna Barbie (28) ist beim Grenzenlos Kultur Vol. 16 Mädchen für alles. An der Sporthochschule Köln studiert sie momentan den M.A.-Studiengang Tanzkultur. Sie arbeitet als Tanzpädagogin und ist als Tänzerin und Performerin Mitglied des Ensembles von Ute Faust & Company.

Hallo Anna, wie kommt man als Tanzstudentin auf die Idee, ein Praktikum bei einem inklusiven Theaterfestival zu machen?

Im Rahmen meines Studiums machen wir alle ein Praktikum im kulturellen Bereich. Das muss gar nicht unbedingt an einer Tanzakademie sein. Ich interessiere mich sehr für inklusive Prozesse, da ich mich damit in meinem Studium auf theoretischer und praktischer Ebene auseinandersetze.

Welche Verbindungen hast du denn zu dem Thema Inklusion?

Ich bin schon früh durch meine kleine Schwester Marie mit dem Thema in Verbindung gekommen. Sie hat eine noch kaum erforschte Behinderung und ich wollte sie immer einbeziehen. Ich will mit ihr tanzen, meine Freizeit gestalten, auch auf Festivals fahren, wie das Open Ohr hier in Mainz zum Beispiel.

Wie sehr prägt diese Erfahrung Deinen Blick auf das Festival?

Ich habe natürlich einen Einblick in die alltäglichen Aufgaben, die es zu bewältigen gilt, zum Beispiel, wenn es um Förderungen oder die Suche nach einer Wohnung geht. Aber die Freizeitgestaltung ist ebenso wichtig. Es gibt immer noch zu wenig Möglichkeiten. Wenn du beispielsweise an eine Tanzschule gehst, wirst du zunächst kein inklusives Angebot finden.

Was hast du dir von deiner Arbeit bei Grenzenlos Kultur unter diesen Gesichtspunkten erhofft?

Ich wollte einfach mal erfahren, wie so etwas funktioniert. Die organisatorischen Aufgaben, die Vorbereitungen und die Betreuung. Besonders interessant ist für mich, die Künstler beim Arbeiten zu beobachten.

Weil du als Performerin vielleicht selbst in diesem Bereich arbeiten willst?

Ja, möglicherweise. Ich bin momentan an einem Punkt, an dem ich mir überlege, wo es hingehen soll, was ich später machen will. Und diese Arbeit hat mir sehr gut gefallen.

Hat das Festival deine Erwartungen erfüllt? Was würdest du dir für eine Grenzenlos Kultur Vol. 17 wünschen?

Ich habe tolle Erfahrungen sammeln können. Wünschen würde ich mir, dass speziell auf der inklusiven Tagung mehr über Inklusion als über Behinderungen gesprochen wird. Inklusion sollte alle zusammenbringen. Gerade deswegen sollte man das Angebot vielleicht noch ausweiten. Ich habe auf dem Festival auch leider keine mehrfachbehinderten oder
schwerstbehinderten Menschen im Publikum oder auf der Bühne getroffen. Dafür sind die Gewohnheiten einfach noch zu eingefahren.

Meinst du die klassische Theatersituation?

Die sollte man im Fall eines solchen Festivals vielleicht auch lockern. Vorausgesetzt wird meist ein stilles Publikum, wodurch allerdings wiederum manche Menschen unbewusst ausgeschlossen werden. Vielleicht gibt es die Möglichkeit einen neuen Rahmen zu schaffen, in dem beispielsweise unvermeidbare Geräusche des Publikums nicht als Störung empfunden werden oder es zwischendurch auch mal laut sein darf. Der Tanzworkshop von Corinna Mindt und Neele Buchholz war toll. Es kamen so viele verschiedene Menschen zusammen und es ging für alle umsetzbar um Reaktionen der Körper. Es hat super funktioniert!

Inklusion ist für dich ein persönliches Thema. Was glaubst du kann jeder einzelne zu einem guten Miteinander beitragen? Was muss sich ändern?

Menschen mit Behinderungen werden zwar akzeptiert, aber wenn ich mit Marie irgendwo hingehe, werden wir immer noch angesehen. Ich habe erst einmal keine Gleichgesinnten und bin alleine. Ich will ohne Hemmungen mit meiner Schwester alles machen können, was wir möchten, auch in den kulturellen Bereichen. Man muss das Theater öffnen: Ich möchte ankommen und denken: “Hier bin ich richtig”. Egal, wer bei mir ist und wie er ist, es ist O.K.

Aufruf: Anna Barbie möchte eine inklusive Wohngemeinschaft in Sprendlingen (Rheinhessen) für junge Menschen mit verschiedenen Interessen und Fähigkeiten ins Leben rufen. Bei Interesse melden Sie sich bei Anna Barbie unter der E-Mail Adresse: annak.barbie@t-online.de

Henriette Buss

Henriette Buss (21) studiert Theaterwissenschaft und Kunstgeschichte an der Universität Mainz. Erste praktische Erfahrungen sammelte sie an der Freilichtbühne Eutin, am Theater Lübeck und am Staatstheater Mainz. Besonders interessiert sie Bühnenbildgestaltung und Musiktheater.