Zwischen Traum und Wirklichkeit

© Marie Tollkühn
© Marie Tollkühn

Dröhnende Bässe, melancholische Bilder:  Massimo Furlan und BewegGrund zeigen “10xTheEternal” 

Lautes Dröhnen, das tief bis in den Fußboden vibriert. Licht aus. Mehr Dröhnen, mehr Lautstärke, mehr sägende Bässe. Plötzlich sieht man wieder etwas. Die Gesichter der Darsteller erscheinen schemenhaft im Dunkel des Bühnenraums. Sie stieren dem Publikum wie versteinert entgegen.

Was da stiert in”10xTheEternal” von Massimo Furlan, BewegGrund & Numero23Prod, sind nicht die Blicke der Darsteller. Es sind Masken ihrer selbst. Hinter ihnen verbergen sie ihre echten Gesichter, Gesichter, die Regungen, und Leben in sich tragen.  Ihre Gesichtslosigkeit hält dem Publikum den Spiegel vor. Rollentausch. Und auf einmal wird der Zuschauer zum Betrachteten, der Voyeur zum Objekt des Voyeurismus anderer.

©Marie Tollkühn
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Die Bewegungen der sechs Darsteller erinnern oft eher an düstere Pantomime als an Tanz. Mit langsamen Schritten schlurfen sie über die Bühne, drehen behutsam ihre Köpfe hin und her, deuten zaghafte Gesten mit ihren Händen an. Aus den Lautsprechern tönt “The Eternal” von Joy Division. Ein Lied, das dieses Tanz-Theater von allen Seiten einnimmt, umbrandet, ausfüllt. Die elektronischen Klänge rahmen die Performance, geben ihr ihren Platz, ihre Richtung, ihren Charakter. Zehnmal wird der Song an diesem Abend an- und ausgespielt. Zehnmal anders betrachtet, zehnmal anders betanzt.

Bilder von Zerbrechlichkeit, Verlust und Tod

Das Spiel mit körperlichen Eigenheiten und vertrauten wie ungewohnten Bewegungsmustern nimmt an diesem Abend viel Raum ein. Wortwörtlich. Jede noch so kleine Ecke der leeren Bühne wird von den Darstellern ausgelotet. “10xTheEternal” ist trotz seiner Langsamkeit und Ruhe ein Stück, das diesen Platz fordert und mit seiner immensen Körperlichkeit keiner Unterstützung durch Requisite oder Sprache bedarf.

Die Tanzschritte formen im Zusammenspiel eine lose Geschichte. Sie folgen keiner strengen Erzählstruktur mit Anfang, Mitte und Ende. Alles ist assoziativ, alles schafft Platz für die Gedanken der Zuschauer. So entstehen Bilder von Zerbrechlichkeit, Verlust und Tod. Die angehäuften Wiederholungselemente versetzen unvermittelt in einen Zustand halbwacher Trance. Auch die Darsteller verfallen offenbar diesem Bann. Leere Augen, schweifende Blicke und stoisch wiederkehrende Bewegungen schaffen ein Szenario zwischen Traum und Bühnenwirklichkeit.

©Marie Tollkühn
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Wenn Bewegungsmuster, die von der Gesellschaft als andersartig kategorisiert werden, plötzlich überall auftauchen, verwischen die Grenzen zwischen Behinderung und Nicht-Behinderung, zwischen vermeintlicher Andersartigkeit und Normalität. Im Lauf der Choreografie übernehmen verschiedenste Darsteller die Muskelspasmen ihres Kollegen in ihr persönliches Bewegungsrepertoire. Aus so genannter Krankheit und Unvollkommenheit wird Tanz. Begriffe von Schönheit, Anmut und Stärke werden dabei wie selbstverständlich neu definiert.

Tonloser Schmerz

Einmal schmiegt einer der Tänzer seine Nase innig an das Bein einer auf dem Boden liegenden Tänzerin. Zaghaft beginnt er mit seinen Zähnen an ihrem Socken zu zupfen, lässt ihn zögernd wieder los und widmet sich ihrem Oberkörper. Bei “10X TheEternal” begegnet dem Zuschauer an vielen Stellen diese unerwartet bewegende Sinnlichkeit. Für einige mag das wie eine Ansammlung einfacher Bewegungen ohne Ziel und Geschichte wirken. Für die anderen schafft diese Tanz-Performance melancholische Bilder von spinnenbeinartig tastenden Fingern, liebkosten Steinen und tonlosem Schmerz, die nachwirken.

Eine weitere Kritik zu “10xTheEternal” lesen Sie hier. Mehr Bilder gibt es hier. Und hier finden Sie alles über den dem Abend zugrundeliegenden Song.