Das Ensemble des Bremer Blaumeier-Ateliers zeigt in seiner Inszenierung von “Orpheus und Eurydike” eine Liebe, die den Tod überdauert.
Zwei Menschen empfinden eine tiefe Zuneigung füreinander. Sie heiraten. Sie sind glücklich. Doch das Schicksal rast ungebremst in die Liebe hinein und erschüttert sie: Eurydike stirbt nach einem Schlangenbiss. Als Maximilian Kurths Orpheus von einem Gesangswettbewerb heimkehrt, ist ihre Liebe (verkörpert durch ein rotes Plüschherz) das Einzige, was von seiner Eurydike übriggeblieben ist. Zumindest in dieser Welt. Und genau diese Welt bricht für ihn zusammen. Er trauert. Er schreit, er weint, er schluchzt. So schmerzvoll und echt, dass es einem die Tränen in die Augen treibt.
Orpheus bricht zu einer abenteuerlichen Suche nach der Liebe seines Lebens auf. Wie in der griechischen Mythologie sucht er auch in dieser Produktion des Bremer Blaumeier-Ateliers Hades, den Herrscher über die Unterwelt, um ihn um das Leben seiner frisch Vermählten zu bitten. Gelingt es dem begnadeten Sänger Orpheus, das Herz des Hades (Michael Riesen) und dessen Frau Persephone (Viktoria Tesar) zu erweichen? Und: Wird sich Orpheus bei seinem Gang aus der Unterwelt nach Eurydike umdrehen?
In der Inszenierung von Imke Burma, Jörg Isermeyer und Barbara Weste sind die Rollen des Orpheus und der Eurydike mehrfach besetzt. Anfangs gewähren vier verschiedene Liebespaare Einblicke in die unterschiedlichen Facetten einer Beziehung. Da lehnt Bärbel Herolds Eurydike die ständigen Komm-wir-machen-was-Ideen ihres Orpheus (Frank Grabski) ab. Ob Schachspielen, Eis essen oder ins Theater gehen – Eurydike blättert lieber in ihrem Fotoalbum. Besser: lässt blättern. Denn Melanie Sochers Hermes schlägt mit übertrieben großen Schritten (die durch ihre discokugelartigen Stiefel alle Aufmerksamkeit auf sich ziehen) die Seiten um. Gleich zu Beginn mischt sich der Schutzpatron der Reisenden in das Leben der Liebenden ein und bleibt die ganze Inszenierung über das Mädchen für alles.
Ständige Begleiter der Liebenden sind die Musiker David Jehn und Walter Pohl, die mit ihrer Vielfältigkeit jeden Moment der tragischen Geschichte untermalen. Wo es Orpheus gelingt, die Höllenhunde in Pagenkostümen auszutricksen, öffnen sich die Tore zur Unterwelt. Hier beeindruckt einmal mehr das vielseitige Bühnenbild. Wände lassen sich herausschieben und verwandeln die Bühne – gemeinsam mit Licht und Musik – in eine unheimliche Schattenwelt. Geisterhafte Stimmen wispern Unverständliches, es zischt, der Kontrabass kratzt. Sieht es so aus, wenn man tot ist? Nein. In der Unterwelt gibt es ganz andere Probleme. In der Ehe von Hades und Persephone kriselt es. Sie wünscht sich Zweisamkeit und Blumen, er hat nur Uhren und Zahlen im Kopf.
Die Inszenierung des Blaumeier Ateliers folgt treu dem griechischen Mythos, indem das Vierergespann der Orpheus-Darsteller das Herz der Persephone erweichen kann. Allerdings hält sich Orpheus nicht an die Abmachung und dreht sich auf dem Weg in die Welt der Lebenden nach Eurydike um. Sie verschwindet. Doch nicht voller Trauer, nein. Rainer Maria Rilkes Gedicht belehrt eines Besseren: Ihr Gestorbensein erfüllte sie wie Fülle.
Anders geht es da Frank Grabskis Orpheus. Hermes versucht ihn zu trösten, ihm Mut zu machen: “Jeder muss mal sterben, auch du. Du solltest dein Leben genießen.” Es gelingt ihm nicht. Am Ende zerfetzen ihn die Mänaden.
Dem Ensemble des Blaumeier-Ateliers ist eine mitreißende Geschichte über Glück, Verzweiflung, Kraft und Lebensmut gelungen. Starke Charaktere zeigen, dass man keine Angst vorm Tod haben muss.
Mehr zu “Orpheus und Eurydike”? Hier gibt es eine zweite Kritik zur Blaumeier-Produktion, hier mehr zum Mythos.