Das diesjährige Symposium im Rahmen des Theaterfestivals Grenzenlos Kultur beschäftigte sich mit dem Thema Barrierefreiheit. Unter dem Titel „The Future Is Accessible“ fand sowohl online über die Plattform Zoom als auch in Präsenz an zwei aufeinanderfolgenden Tagen jeweils eine Panel-Diskussion statt, in der verschiedene Künstler:innen sich zur Thematik austauschen konnten.
Nächster Schritt: Selbstbestimmtheit
Im ersten Panel „Beyond Access: Barrierefreiheit und Nachhaltigkeit“, moderiert von Tänzerin, Tanzwissenschaftlerin und Ko-Kuratorin Angela Alves, begegneten sich Journalist Constantin Alexander, Tänzerin und Choreographin Maija Karhunen, Choreograph Zwoisy Mears-Clarke, Performance-Künstlerin und Choreographin Xenia Taniko und, per Video zugeschaltet, Tänzerin und Choreographin Kristine Nilsen Oma aus Bergen. Es stellte sich die Frage nach der Notwendigkeit von Barrierefreiheit in Bezug auf vorhandene Arbeitsstrukturen im Theater sowie dem Zusammenhang zwischen Access-Methoden und Nachhaltigkeit. Gegenwärtig, so Karhunen, mache sich langsam das Gefühl breit, stetig mehr für die eigene Kunst als (nur) für die Krankheit bemerkt zu werden. Sie fühle sich mittlerweile willkommener, weil die Mitmenschen mitdenken würden und sie sich nicht mehr so verpflichtet fühle, sich den normativ geltenden Standards anzupassen.
Dies sei jedoch nicht immer so gewesen. Als Kind habe sie Schwierigkeiten gehabt ihrer Leidenschaft, dem Tanz, nachzugehen, da man sie bei Castings, Workshops und Ausbildungsstätten regelmäßig aufgrund ihrer Behinderung abgelehnt habe und sie sich um vieles selbst kümmern und autodidaktisch erlernen musste. Dadurch habe sie erfahren, Eigeninitiative zu zeigen, sich und anderen Grenzen zu veranschaulichen und Widerstand zu leisten, indem sie für sich einsteht.
Während sich Zwoisy Mears-Clarke für eine barrierefreie Zukunft strukturelle Fürsorge (structural care) wünscht, die Arbeitssicherheit, emotionale Sorgearbeit und finanzielle Absicherung umfasst, ist es u.a. Kristine Nilson Oma wichtig, das Wissen über ihre Erkrankung zu teilen und damit nicht nur aufzuklären, sondern auch eine aktivistische Position einzunehmen. Bei einem unentbehrlichen Schritt zur „Inklusion“ sind sich die Referent:innen jedoch einig: Das strukturelle Ziel für Künstler:innen mit sichtbarer oder unsichtbarer Behinderung muss ihre Selbstbestimmtheit sein!
Wichtig ist Transparenz
Im zweiten Panel „Inklusion transparent“ tauschten sich Künstlerin und Autorin Agnieszka Habraschka, Kuratorin und Dramaturgin Noa Winter und, online zugeschaltet, Performance-Künstlerin Nina Mühlemann sowie Dramaturg Harald Wolff über ihre Erfahrungen mit ‚inklusiven’ Theaterpraktiken aus und schilderten ihre jeweiligen Erfahrungen und Visionen dazu. Als entscheidend für die Diskussion erwies sich der Begriff des Gatekeepings. Barrierefreiheit sei dementsprechend nicht nur im physischen Sinne zu verstehen, sondern als Frage von Machtkritik. Man müsse, so Winter, die Strukturen von Arbeitsweisen grundlegend in Frage stellen, da es oft sogenannte Gatekeeper seien, die bei wesentlichen Entscheidungsprozessen großen Einfluss hätten. Dass genau diese Personen oft keine Behinderung hätten, sei auffällig.
Als weiteres Beispiel nannte sie Theaterhäuser, in denen behinderte Künstler:innen zwar Zugang zu den Bühnenräumlichkeiten hätten, die Büros für Dramaturg:innen jedoch nur über eine Treppe zu erreichen seien. Auch die dicht getakteten Zeitstrukturen und das je individuelle Haushalten mit Energien seien Punkte, an denen noch gearbeitet werden müsse. Künftig, sind sich die Referent:innen einig, komme es darauf an, den Inklusionsbegriff neu zu definieren. Nicht die wenigen Marginalisierten sollten sich in vorgegebene Strukturen einpassen müssen, sondern sie müssten es selbst sein, die die strukturellen Änderungen gestalteten, damit eine wirkliche Öffnung für alle möglich werde. Zudem müsse man bestehende, stereotypenbehaftete Vorstellungen von behinderten Menschen durchbrechen und aufhören, sie nur auf ihre Krankheit zu reduzieren. Dies sei jedoch ein langwieriger, sich in der Entwicklung befindlicher Prozess, der vor allem auch Kommunikation und Vernetzung von behinderten mit nicht behinderten Menschen erfordere.
Die Zukunft muss in jeglicher Hinsicht barrierefrei(er) sein und dazu bedarf es der Offenheit von Gesellschaft und Theaterhäusern, der Transparenz von Arbeitsstrukturen und der Selbstbestimmtheit behinderter Künstler:innen. Auch wenn sich bis heute schon manches getan hat, kommen alle Referent:innen zu dem Schluss: Es muss noch viel passieren!