Mit “Hindernisse auf der Fahrbahn” würdigt das Theater Thikwa den Dichter Ernst Herbeck
“Liebe im Boot“ heißt eines von Ernst Herbecks Gedichten. Entsprechend steht ein kleines grünes Schlauchboot auf der Bühne. Daneben drei alte Tische, drei alte Stühle; von der Decke hängen lange Schnüre, an denen Notizen und Bilder befestigt sind. Im Boot singt Torsten Holzapfel später „Mein Freund hat eine Zille“ über die Freuden der Binnenschifffahrt.
So gehen die Bezüge in „Hindernisse auf der Fahrbahn“ von Ruth Geiersberger und dem Berliner Theater Thikwa. Themen- und Stichwortgeber ist Ernst Herbeck, der sein halbes Leben in der Niederösterreichischen Landesnervenklinik Gugging verbrachte und dort unter Anleitung seines Arztes aus therapeutischen Gründen Gedichte zu schreiben begann. Geiersberger rezitiert bereits seit Jahren Herbecks Gedichte. Hier arbeitet sie mit dem Kontrabassisten Klaus Janek und zwei Mitgliedern aus der inklusiven Berliner Theatergruppe „Thikwa“ zusammen: Torsten Holzapfel und Tim Petersen.
Mit Charme und Witz
Der Abend ist eine unaufgeregte Wort-Klang-Bild-Collage. Verwirrung ist dabei ein stetes Gefühl im Raum. Geiersberger tritt als gefasste und dominante Mutterfigur auf. In grauem Kostüm, schwarzer Nylonstrumpfhose, schwarzer Lesebrille und kurzen, streng zurückgekämmten Haaren wirkt sie wie eine Oberlehrerin, eine Wortdompteuse. Wenn sie Herbecks Texte mit genau wägendem Ton und feinem Knacken abliest, hat es den Anschein, als kenne sie sie allesamt in- und auswendig.
Die Stimmung ist gemütlich, heimelig, angenehm und vertraut, als säße man mit den Performern beim Tee. Während Geiersberger spricht, sitzt Holzapfel hinter einem der drei Tische und zeichnet. In seinem grauen Anzug wirkt er charmant und gewitzt. Hin und wieder steht er auf, schreitet die Bühne auf und ab und stimmt mit Inbrunst alte Berliner Gassenhauer an. Dabei freut er sich über jede Pointe, die die Zuschauer zum Lachen bringt. Seine Spielfreude steckt an.
Ein Hauch von Wahnsinn
Musikalisch begleitet wird der Abend von dem Kontrabassisten Klaus Janek und dem Sänger Tim Petersen. Seine Stimme erklingt zum ersten Mal bei einem österreichischen Heimatlied, das er im Duett mit Geiersberger anstimmt. Sein glockenklarer Sopran verzaubert und harmoniert bestens mit dem seiner Gesangspartnerin. Als der junge Mann dann im Anzug die Bühne betritt, sind nicht wenige von dem Anblick überrascht, hatten sie bei dieser Stimme doch eher ein Kind oder eine junge Frau erwartet. Er spricht den Abend über kein Wort, ist ganz Musik: mit seiner Stimme, an den klingenden Wassergläsern, mit der Vogelpfeife. Wie auch Janek, der auf seinem Kontrabass mal harmonisch die Begleitstimme streicht, mal irritierend schiefe disharmonische Töne von sich gibt und der Aufführung einen Hauch Wahnsinn hinzufügt.
„Hindernisse auf der Fahrbahn“ ist eine leise Theater-Collage, auf die man sich einlassen können muss, die die Bemühung aber definitiv wert ist. Die vier Darsteller harmonieren miteinander, als würden sie sich schon ewig kennen. Sie bringen Herbecks poetisches Werk charmant auf die Bühne, scheuen nicht die Tendenz hin zu Irritation und Wahnsinn. Trotz all der Verwirrung klingt Geiersbergers Zitat aus Herbecks Gedicht zur „Liebe im Boot“ bis weit nach der Vorstellung in meinen Ohren nach: „Das Leben ist schön!“