Maximilian Haslbergers Film “Die Menschenliebe” zeigt zwei Menschen auf der Suche nach Zuneigung
Der geistig behinderte Jochen hat sich in eine Prostituierte namens Evelyn verliebt und möchte sie heiraten. Nur blöd, dass er deswegen jetzt Ärger mit der Polizei und Hausverbot in dem Freudenhaus hat, in dem sie arbeitet. “Probleme machen eigentlich nur die Anderen”, erklärt er deswegen seiner Sozialarbeiterin. Dann ist da noch seine Schwester, die ihn bevormundet wie einen kleinen Jungen. Sie wäscht seine Wäsche, räumt bei ihm Zuhause auf und will seine Pornohefte konfiszieren. Ganz anders sieht auf den ersten Blick das Leben von Sven aus, der im Rollstuhl sitzt: Er geht gerne Feiern und bestellt sich Callboys und Callgirls in seine Wohngemeinschaft. Seine Mitbewohner sehen das gelassen und er spricht offen mit ihnen über die Themen Behinderung und Sex.
Ohne falsche Scham gibt der halbdokumentarische Film “Die Menschenliebe” von Maximilian Haslberger einen Einblick in die Leben von zwei Menschen mit unterschiedlicher Behinderung, aber dem gleichen Wunsch: Beide möchten ihre Sexualität frei ausleben können. Jochen, gespielt von RambaZamba-Schauspieler Joachim Neumann (der gerade in der Eröffnungs-Inszenierung “Der gute Mensch von Downtown” mitspielte), hindert daran vor allem seine moralische Schwester. Beim bisexuellen Sven, den der kürzlich verstorbene Sven Normann darstellt, ist häufig der Rollstuhl ein Problem.
Mitbewohner unter sich
Jochens Zuflucht scheint die Musik zu sein. Mit geschlossenen Augen steht er in seiner Wohnung und singt “Hab keine Angst, mein Kind” von Juliane Werding, nachdem er sich bei einem Besuch seiner Schwester mal wieder anhören durfte, was das Richtige für ihn sei und was nicht. Auch seine eintönige Arbeit bei der Aktenvernichtung nervt ihn. Aber was soll er sonst machen? Generell wirkt Jochen oft nachdenklich und unglücklich, da er mit seinem Alltag, seinem Umfeld nicht zufrieden ist. Seine Schwester gibt ihm den überaus hilfreichen Rat, sich eine Freundin zu suchen. Natürlich hätte er gerne eine Frau an seiner Seite, aber die Partnersuche kann schon für nicht-behinderte Menschen eine Herausforderung sein. Wie soll dann ein Mann, der von seinen Mitmenschen bevormundet wird und nicht selbstbestimmt handeln kann, das anstellen? Außerdem liebt er doch Evelyn.
Auf einer Erotik-Messe überschneiden sich die Wege der Protagonisten. Von nun an begleitet man den lebensfrohen Sven. Dieser hat offensichtlich mehr Spaß an der Messe als Jochen: Er lässt sich mit spärlich bekleideten Models fotografieren, fasst an, wo es erlaubt ist, genießt und lacht. Dass er gerne mal Callboys oder Callgirls bucht, wenn keine Betreuer mehr in seinem Wohnheim sind, stört seine Mitbewohner nicht. Im Gegenteil: Sie bieten ihm sogar Hilfe an, falls er seinen Besuch mal rauswerfen möchte.
Was ist real, was fiktiv?
Sven erzählt offen über seine sexuellen Erfahrungen. Er berichtet von seiner Ex-Freundin, die sich nicht vorstellen konnte, mit ihm zu schlafen. Außerdem davon, dass sein Besuch oft irritiert wegen seiner körperlichen Behinderung ist, obwohl er es extra immer vorher am Telefon erwähnt. Damit geht manchmal einher, dass er zwar für Blowjob und Geschlechtsverkehr bezahlt hat, aber nur ersteres bekommt. Auch er denkt ab und zu über eine feste Beziehung nach. Dabei weiß er selbst noch nicht so genau, ob er überhaupt der Beziehungstyp ist. Was würde er von seinem Partner erwarten? Und wäre das eigentlich ein Mann oder eine Frau?
“Die Menschenliebe” macht auf ein Thema aufmerksam, an das viele nicht-behinderte Menschen wahrscheinlich gar nicht denken. Noch nie Sex gehabt zu haben, ohne dafür bezahlen zu müssen? Das können sich die meisten nicht vorstellen. Mit seinem dokumentarischen Kamerablick, der immer nah an seinen Protagonisten bleibt, irritiert der Film ebenso wie mit den vielen Überschneidungen zwischen den Schauspielern und ihren Rollen. Was ist real, was fiktiv? Das bleibt am Ende ebenso offen wie irrelevant. Viel stärker ist die Botschaft: dass es nicht für jeden Menschen einfach ist, sich eines der menschlichsten Bedürfnisse zu erfüllen, weil andere Menschen und die Gesellschaft sie dabei behindern.