“Es geht ums Ganze”: Am Samstag diskutierte und erprobte eine Fachtagung, was inklusives Theater in der Praxis ausmacht. Im Zentrum standen vier Workshops, in denen es darum ging, Bewegung, Raum und Sprache zu erfahren. Ein Erlebnisbericht
Sie laufen quer durch den ganzen Raum. “Partnerwechsel – jetzt mal Rücken an Rücken!”, ruft Gisela Höhne, die das RambaZamba Theater leitet. Das Gewusel formatiert sich. Nun tanzen die Workshop-Teilnehmer mit immer wieder wechselnden Partnern durch den Raum. Sie lachen, verbiegen sich, probieren Bewegungen aus. Ständig werden Tempo und Intensität der Bewegungen verändert. Höhne wirft neue Aufgaben in den Raum, die Musik wechselt. So gehe sie auch bei ihren Vorbereitungen auf ein Stück vor, erzählt sie: “Aus solchen Übungen heraus entstehen Momente, die sich wunderbar als Szenen eignen. Die müssen dann einfach genommen werden!”
Die Workshop-Teilnehmerin Johanna erzählt mir, dass sie bei der Vorstellungsrunde herausgefunden haben, dass sie alle etwas mit Theater oder Pädagogik zu tun haben. “Wir brauchen noch eine Ophelia!”, ruft Höhne. Sie schaut sich schon nach begeisterten Schauspielern um, mit denen sie alle gemeinsam im nächsten Teil des Workshops eine Szene erarbeiten werden.
Der Workshop ist einer von vier, sie sind das Herzstück der theaterpädagogischen Tagung “Es geht ums Ganze” über Inklusionstheater. Nachdem Festivalleiter Andreas Meder und Gisela Höhne in einem Impulsgespräch darüber, was inklusives Theater eigentlich ist, auf produktive Weise mehr Fragen stellten als beantworteten, zeigten Neele Buchholz und Corinna Mindt von tanzbar bremen ihre Performance “Rosa sieht rot” – ein wirbelndes Stück Tanz mit Anleihen bei Pantomime und Objekttheater.
Wenn Orte zu Handlungen inspirieren
Buchholz und Mindt leiten auch einen Workshop, der liegt allerdings außerhalb des KUZ-Geländes. Also unterhalte ich mich im Hof stattdessen mit Thomas Aye. Er leitet den Workshop zur Erfahrung des Raumes. Seine Workshop-Teilnehmer sind gerade auf der Suche nach interessanten, bespielbaren Orten. Oft, so erzählt Aye, inspiriere einen ein Ort zu einer bestimmten Handlung, zu besonderen Bewegungsabläufen. Man gehe ganz anders mit den Szenen um, wenn man sich zuerst den zu bespielenden Ort genau anschaue, hineinhöre, was er zu erzählen habe. So finde man ganz neue Möglichkeiten, in diesem Raum zu agieren.
Wie wir Raume wahrnehmen, sei unterschiedlich. Doch mit Menschen mit Behinderung zu arbeiten, das sei etwas Tolles. “Sie haben eine andre Sicht auf die Dinge, nehmen Räume oft anders wahr als wir”, erzählt Aye. Später werde ich zu diesem Workshop zurückkehren und mir ein paar erstaunliche Szenen anschauen, die die Einzelgruppen an den unterschiedlichen Orten erarbeitet haben. Ich bin begeistert, wie sie die Räume bespielen. Es ist viel Improvisation mit im Spiel, doch die Gruppen scheinen sich an einem Konzept entlangzuhangeln.
Schnörkellos und auf den Punkt
Anschließend schnuppere ich in den Workshop von Katja de Braganca hinein. Sie rief 1998 die Zeitung Ohrenkuss ins Leben und berichtet ihren Kursteilnehmerinnen über die Kommunikation in der Schreibwerkstatt. Die Beiträge der inklusiven Zeitung werden von Menschen mit Down-Syndrom verfasst und in einfacher Sprache gehalten. Etwas abseits sitzt Julian Göpel, einer der Ohrenkuss-Autoren; ihm steckt ein selbstgebastelter Presseausweis in der Brusttasche. Mit zwei weiteren jungen Menschen mit Down-Syndrom arbeitet er an einem Text. Sie tragen Handpuppen, stellen eine Interview-Situation nach. Als sie mit ihrer Arbeit fertig sind, zeigen sie uns das erarbeitete Interview, Katja de Braganca filmt es zur Dokumentation. Es ist erfrischend lustig. Auf den Punkt. Keine Schnörkel oder überflüssigen Wortketten.
Im Hof des KUZ’ habe ich die Gelegenheit, mit vier Kursteilnehmern von Gisela Höhne zu sprechen. Allesamt spielen sie am Schauspiel Frankfurt in der Produktion von “All inclusive” von Matrina Droste und Chris Weinheimer mit. Aufgrund ihrer Arbeit als Schauspieler kennen sie die meisten Übungen schon, die sie im Workshop gemacht haben. Tobias Krämer erzählt mir: “Das war alles so langsam. Dem Ganzen hätte etwas Feuer gut getan!“ Seine Schauspielkollegen stimmen ihm zu. Die Vier erzählen mir, wie sie zum Schauspielern kamen und wo sie in nächster Zeit noch auftreten werden – zum Beispiel im Oktober beim 25. Bundestreffen der Theaterjugendclubs in Hannover, wo “All inclusive” als eine von fünf Produktionen deutschlandweit ausgewählt wurde. Darauf sind sie stolz – zu recht.