Western-, Mongolen-, Kannibalenshow. Ein Jahrmarkt, bei dem keine Attraktion fehlt.
Das Theaterprojekt “Dschingis Khan” in Kooperation mit Monster Truck und Theater Thikwa spielt mit den Grenzen seiner Zuschauer.
Auf der Bühne: Drei Mongolen, Dschingis Khan und seine Anhänger. Sie tragen zottige Schwarzhaar-Perücken, Leggins, primitive Uniformen. Sie schleppen sich durch eine trockene Wüstenlandschaft. Die Wilden, gespielt von Schauspielern mit Down-Syndrom, befolgen Anweisungen, spielen für uns Theater.
Am Rand: Mischpults, Requisiten und Besen. Ein Anzugträger und drei Damen im Zara-Schick. Allesamt mit MacBook, Mikros und Kopfhörer verkabelt. Sie geben Anweisungen, halten die Wilden bei Laune, brechen die Theater-Illusion, haben die Macht. Doch schon das knisterne Versagen eines Lautsprechers, das kurz thematisiert, dann ignoriert wird, zeigt: Dieser Eindruck ist falsch. Auch die vermeintlich Gesunden sind abhängig, eingeschränkt.
Ironisch gebrochene Geschichte
Der titelgebende Dschingis Khan war ein blutrünstiger Herrscher und Eroberer des mongolischen Reichs. Mit seiner Armee zerstörte, mit seinen Soldaten missbrauchte er Teile der Bevölkerung Zentralasiens und Nordchinas. Die Verbindung zu den Mongolen und Menschen mit Down-Syndrom zog der Neurologe John Langdon-Down im 19. Jahrhundert. Er taufte sie ‘mongoloid’, da er an eine Abstammung glaubte.
Ironisch gebrochen wird dieses grausame Stück Geschichte, von dem Theaterkollektiv ‘Monster Truck’, das 2005 in Gießen gegründet wurde. Die Theatermacher Manuel Gerst, Sahar Rahimi, Mark Schröppel und Ina Vera hinterfragen in ihren Produktionen gesellschaftskritisch die Sensationslust des Zuschauers. In “Dschingis Khan” kooperieren sie mit der inklusiven Theaterwerkstatt Thikwa, die seit 1995 besteht und mit den Schauspielern Sabrina Brämer, Jonny Chambilla und Oliver Rincke vertreten ist.
Distanz statt moralische Irritation
Der Kern von “Dschingis Khan” ist die Irritation durch Gegensätze. Auf der einen Seite die primitiven Mongolen: Sie schießen noch mit Pfeil und Bogen, versuchen, auf Alltagsgegenständen Musik zu machen, sprechen eine unverständliche Sprache, sind eingesperrt. Auf der anderen Seite die Zivilisierten im strengen Aufzug. Sie spielen Musik ab, versorgen die “Mongolen” mit Gewehren, halten sie mit Alkohol und Melone bei Laune, übersetzen ihre Sprache, grenzen sie auf der Bühne ein- und von der Gesellschaft aus. Sie behandeln die Schauspieler ohne Wärme oder emotionale Rührung; nüchtern zeigen sie uns die “Freaks”.
Doch durch die schnellen Szenenwechsel und langsamen Umbauten sowie Kostümwechsel entsteht keine narrative Spannung – der Zuschauer bleibt in Distanz und erlebt keine moralische Irritation, eher ein leichtes Unwohlsein. In den letzten 20 Minuten verlassen die Performer Monster Truck den Raum und lassen Jonny, Olli und Sabrina allein. Diese fangen an, die Zuschauer anzufassen, sie zu füttern, mit einem Katapult zu bewerfen, ihre Perücken in die Gesichter zu halten, an der Stange zu tanzen, Liegestütze zu machen. Sie spielen Hampelmänner und ziehen das Stück in eine quälende Länge.
Behindert zu sein ist keine Eigenschaft
Schockierend ist hierbei nicht das Bühnengeschehen selbst, sondern die Reaktion der Zuschauer, die den 90-minütigen Theaterabend einfach über sich ergehen lassen. Sie werden vernebelt, beworfen, betäubt. Sie fächern sich nicht die Sicht frei, werfen nicht zurück, stehen nicht auf, um die Musik auszuschalten. Die Produktion will den Zuschauer provozieren. Ihn herausfordern. Er bleibt sitzen und gafft. Zu gehemmt, um in das Stück einzugreifen. Womöglich unkorrekt zu sein.
Mark Schröppel spricht es stellvertretend für den fehlenden, körperbehinderten Manuel Gerst aus: Behindert zu sein ist keine Eigenschaft. Kein positiver Charakterzug. Behindert zu sein, ist einfach nur doof. Und wir, die Zuschauer, die nicht reagieren, nur in sicherer Distanz zu sehen, tragen eine Mitschuld an diesen Gefühlen.
Mehr zu Monster Truck und ihrer Performance “Dschingis Khan”? Hier finden sie ein Porträt der Gruppe, hier äußern sie sich in einem Video zu ihrem Werk. Und hier gibt es einen Erlebnisbericht des Abends.