Grenzen und Geborgenheit

„Drinnen und Draußen“ von Moks und tanzbar Bremen blickt auf Dazugehören und Alleinseinwollen

Schon im Treppenabgang zu U17, der kleinen Bühne des Mainzer Staatstheaters, ist Musik zu hören. Die Performer*innen von tanzbar_bremen und dem Ensemble Moks vom Theater Bremen stehen als Band auf der Bühne. Sie grüßen und fragen, wer man sei. Sie sitzen am Schlagzeug, Bass, Klavier und Mikrofon, oder tanzen dazwischen und singen nun: „Sarah is in the house. Sarah is in the house“. Es folgen Noel und Nathalie, die nun auch „in the house“ sind. Die Betonung liegt auf „in“, also innen drinnen.

In den darauffolgenden 60 Minuten geht es genau darum: um das Drinnen- oder Draußensein. Das gleichnamige Stück „Drinnen und Draußen“ vom Moks und tanzbar_bremen in der Regie und mit der Choreografie von Antje Pfundtner behandelt das Thema mit Reimen, Songs und Zotteln.

Angetrieben von Sprachwitz, Gesangs- und Tanzeinlagen stehen die acht Performer*innen auf der Bühne. Daneben eine rote Bürste, die wirkt wie die einer Autowaschanlage, ein ferngesteuertes, rotes Sofa und hinter ihnen eine eckige Hauswand, die genau wie die sich-drehende Bürste mit roten Zotteln überzogen ist. Larissa Pfau jubelt, als sie vom sprechenden Hut – eine „Harry Potter“-Anleihe, in diesem Fall aber Fabian Eyer, der mit einem Grammophon-Trichter über ihr steht – auserwählt wird, und nun auch ins Haus (beziehungsweise dazu-) gehört.

Der sprechende Hut: Fabian Eyer steht hinter Larissa Pfau. Links: Barbara Krebs und Aburvan Susiananthan, rechts: Adrian Wenzel und Frederik Gora Foto: Jörg Landsberg

Wenig später kehrt sich das Bild um: Fabian Eyer, umwickelt von einem wurmartigen rosa Tau, schreit: „Ich will da nicht reingezogen werden. Keine zehn Pferde bekommen mich da rein“, während er am Tau zurückgeholt wird und in der zotteligen Hauswand verschwindet. Die Tür öffnet sich und Oskar Spatz, Frederik Gora, Coline Weber, Aburvan Pio Susiananthan und Adrian Wenzel kommen in Galoppsprüngen heraus.

Der Abend referiert auf gängige Kindheitserlebnisse und -spiele wie Stuhltanz, das Sich-entschuldigen-Müssen oder das Wählen von Teams, aber auch auf Märchen wie „Harry Potter“ und „Rotkäppchen“. Dabei verhandelt er Fragen von Zugehörigkeit, Identität, Bedürfnisse nach Alleinsein, Gefühle des Ein- oder Ausgeschlossenwerdens. Einige Momente weisen über allgemeine Kindheitserinnerungen und nachfühlbare Traumata hinaus, öffnen zaghaft politische Dimensionen von Ausschlussmechanismen: Eine Giraffe ragt aus dem Haus empor und fragt das Ensemble – in diesem Moment ein Rudel Wölfe oder Hunde, ausgestattet mit Stühlen, die sie laut scheppernd auf- und zuklappen – , ob sie den Hals nicht voll genug bekommen hätten. Das Rudel lässt ab von Barbara Krebs und Frederik Gora, der beschuldigt wird, die Hunde rausgelassen zu haben. Begleitet von Adrian Wenzel an der Mundharmonika beginnen sie Woody Guthries „This land is your land“ zu singen, erweitert um die Zeilen „This land is noone’s land / Let me out and set me free“.

Begegungen: Frederik Gora und Oskar Spatz, Caline Weber und Larissa Pfau Foto: Jörg Landsberg

Später sitzen Eyer und  Susiananthan gemeinsam auf dem fahrbaren Sofa. Susiananthan sagt: „Du hast mich nach meinen Papieren gefragt und ich habe verstanden, warum du meine Papiere haben wolltest“. Das Warum geht aus der Szene nicht hervor, bleibt eine Andeutung. Ungeklärt lässt es einen an Identitätsprüfungen, Grenzkontrollen und Schufa-Auskünfte denken. Stattdessen zieht sich Susiananthan eine kaugummiartige Papiermasse aus dem Mund und immer mehr Papierflieger segeln über die Hauswand hinüber und den Bühnenraum hinweg.

In loser Folge wechseln die Szenen schnell. Die Erzählweise selbst erinnert an das Spielverhalten der eigenen Kindheit: kurze Aufmerksamkeitsspannen, schnell wechselnde Begeisterung und plötzlich einbrechende Krisen. Dem Ideenreichtum der Inszenierung, ihren Sprach- und Bildwitzen ist nicht immer leicht zu folgen. So besteht die Gefahr, auch als Publikum aus der Erzählung herauszufallen und auf einmal draußen zu stehen. Die trotzende Energie der Performer*innen holt einen aber schnell wieder ein und eröffnet einen vielseitigen, geistesreichen, einfühlsamen und einen lustigen Blick auf sowohl das Dazugehören als auch das Alleinseinwollen.