Ein absurder Dialog in leichter Sprache.
Zwei Zuschauer:innen unterhalten sich. Vielleicht sind sie auch Kritiker:innen.-Wir waren gestern Abend nicht hier. Was haben wir also gestern Abend gemacht
– Was wir getan haben?
– Versuch mal, dich zu erinnern.
– Hm …
– Du erinnerst dich an kein Ereignis? An keine Einzelheit?
– Quäl mich nicht.
– Wir waren im Theater. In “Warten auf: Warten auf Godot”. Von dem Theater Neumarkt und dem Theater HORA. Nele Jahnke und Manuel Gerst haben Regie geführt. Manuel Gerst hat auch die Bühne und Kostüme gemacht.
– Was war denn auf der Bühne?
– Die Bühne ist leer. Nur der Baum ist da.
– Keine Schauspieler:innen auf der Bühne?
– Die sind im Video. Sie sitzen bei sich zuhause und telefonieren über Zoom. Das Video wird auf einer Leinwand auf der Bühne gezeigt.
– Warum sind die denn bei sich zuhause?
– Sie sind im Lockdown. Wegen Corona. Deswegen telefonieren sie miteinander… Versuch doch, dich zu erinnern.
– Jemand gähnt.
– Über was haben sie den gequatscht? Über was haben sie geredet?
– Dass sie „Warten auf Godot“ spielen wollen. Das ist ein Theaterstück von Samuel Beckett.
– Was passiert denn darin?
– Es passiert eigentlich nichts.
– Dann können wir ja auch gehen.
– Die Schauspielerin Sascha Özlem Soydan sagt: Zwei Männer warten auf einen dritten Mann. Aber der dritte Mann kommt nicht. Der dritte Mann ist Godot.
– Auf den warten wir.
– Die zwei Männer sind Estragon und Wladimir.
– Die Schauspieler fragen: Ob Estragon und Wladimir für immer warten? Unendlich? Ob das ihre Existenz ist?
– Und Pozzo? Und Lucky?
– Die gibt es in der Aufführung nicht.
Sie schweigen. Springen zurück durch die Zeit.
– Worauf warten wir jetzt noch?
– Auf Godot.
– Auf “Warten auf Godot”.
– Dass das Stück losgeht.
– Oder ist das Zoom-Telefonat die ganze Aufführung? Ist ein Zoom-Telefonat eigentlich Theater?
– Das ist Meta-Theater. Das heißt: Es sagt etwas über das Theater zu dieser Zeit aus.
– Zumindest ist es absurd. Ein bisschen wie das Theaterstück von Beckett.
– Aber auch sehr real.
Sie schweigen
– Das muss Godot sein!
– Nein, das sind Estragon und Wladimir im Video. Sie wurden getrennt voneinander gefilmt.
– Ach so, ich habe sie gar nicht erkannt. Sie tragen Masken und Hüte. Außerdem Blumenmuster und Turnschuhe.
– An den Masken sind Bärte, die schon ganz lang sind.
– Bestimmt vom Warten.
– Ein Warten kommt trotzdem zum Ende. Das Theaterstück „Warten auf Godot“ beginnt. Mit Originaltext – größtenteils.
– Auf einmal wird die Aufnahme schneller bis man gar nichts mehr versteht.
– Als würde es vorspulen.
– Sie fuchteln nur noch wild mit Armen und Beinen rum. Das ist lustig.
– Jetzt ist es wieder langsamer und geht mit Text weiter.
– Dieser Effekt wird mehrmals wiederholt und wird ein bisschen berechenbar.
– (Enttäuscht) So absurd ist es gar nicht mehr.
Schweigen.
– Das ist er aber jetzt!
– Das ist nur ein Baum. Die Leinwand ist hochgefahren und zwei weitere Bäume fahren auf die Bühne.
– Sie wirken etwas bedrohlich. Mit erhobenen Ästen und leuchtenden Augen.
– Liegt wohl auch an der Musik.
– Der Text wirkt ist jetzt in den Hintergrund gerückt.
– Komisch, mit drei beweglichen, riesigen Bäumen auf der Bühne.
– Jemand legt Blätter auf die Äste des einen Baums. Jetzt bewegt sich der Baum ruckartig und die Blätter fallen runter.
– Ein bisschen wie Asche.
– Nun wird es wirklich sinnlos.
– Noch nicht genug. Jetzt reden die Bäume miteinander.
– Sollen die herunterfallenden Blätter für das Sterben stehen?
– Zumindest sind die Bäume irgendwie mehr da als Estragon und Wladimir. Mehr lebendig… wenn die Bäume leben, müssen sie auch sterben.
– Estragon und Wladimir sind für immer da. Sie können nicht gehen.
– Jetzt sind alle sechs Schauspieler im Video. Und tanzen Macarena. Da ist ein Tanz, bei dem immer dieselbe Bewegung mit den Armen wiederholt wird.
– Zu anderer Musik. Es wirkt wie ein Abspann.
– Ein nie endender Abspann…
Sie warten.
– Zumindest ist jetzt nichts mehr zu sehen oder zu hören.
– Dann können wir ja jetzt gehen.
– Nein, wir warten noch.
– Worauf?
– Auf den Applaus.
– Alle sitzen still im Dunkeln.
– Die Bühne ist leer.
– Es passiert nichts.
– Bis eine Person anfängt zu klatschen, wohlverdient.