Vom Ruhen im Öffentlichen

Auf der Suche nach einer Ästhetik des Ruhens: In der Kakadu Bar und im virtuellen Raum lädt Raquel Meseguer Zafes “A Crash Course in Cloudspotting” zum Ausruhen ein – und zur Reflexion.

Ein selten ruhiges Plätzchen, Foto: Paul Samuel White

Es ist ein grauer Donnerstagnachmittag, an dem sich verschiedene Leute in der Kakadu Bar am Mainzer Staatstheater einfinden. Im Raum liegen verschiedene Sitzsäcke und andere Sitzmöbel bereit, die dazu einladen sich auf ihnen auszuruhen und der Audio Performance “A Crash Course in Cloudspotting” von Raquel Meseguer Zafe zu lauschen. Dabei zu hören sind die Erzählungen von Menschen mit Behinderungen und/oder chronischen Krankheiten, welche sich im Laufe ihres Alltags immer wieder ausruhen müssen.

Mit einem Link gelangt man zur Website, auf der die Audio Performance stattfindet. Dazu aufgefordert es mir bequem zu machen, suche ich mir einen ruhigen Platz in der Bar und ziehe meine Kopfhörer auf, neben mir das kleine Booklet, das wie ein sorgfältig eingepacktes Geschenk wirkt. Ich höre eine Collage aus verschiedenen Cello-Klängen und klicke auf den Button mit der Aufschrift “Start Resting”.  Die Sound Kulisse ist interaktiv. Jedes Mal, wenn Menschen sich aufgrund ihrer Behinderung oder chronischen Erkrankung ausruhen müssen, können sie sich mit einer eigens für die Performance programmierte App verbinden und werden so ein Teil der Geräuschkulisse. Durch die Veränderungen in der Musik und den Geräuschen wird mir dies immer wieder bewusst und ich fühle mich mit all den anderen, die sich in dem Moment mit mir ausruhen, verbunden.

Gesammelte Erfahrungen

Ich gebe mich den Worten der Erzählerin hin, die mich ähnlich wie in einer Meditation begleitet und mich meiner Liegeposition, der Luft um mich herum und den anderen Menschen im Raum bewusst werden lässt. Sie erzählt mir von ihren Erfahrungen, die sie durch die Erfahrungen anderer ergänzt. Manche sind nur ein paar Sätze lang, einige sind etwas länger. Alle haben sie aber ein gemeinsames Thema – das Ausruhen im öffentlichen Raum.

Sie berichten von den Erfahrungen, die sie mit dem Ausruhen an öffentlichen Orten gesammelt haben. Von ihren Gefühlen und physischen Empfindungen und den Problemen, auf die sie wegen den Barrieren stoßen. Zwischen den Erzählungen klingt nur die Musik.

Vorlesungssäle. Bushaltestellen. Die erste Reihe im Kino. Flugzeugboden. Toilette. Das sind nur einige der Orte, an denen sich die Erzähler*innen ausruhen mussten. Keiner dieser Orte klingt besonders einladend oder erholsam. Dennoch sind sie Teil des Alltags der erzählenden Menschen. Eine Person erzählt davon, wie sie sich während einer Universitäts-Vorlesung in unbequeme Sitze setzen muss, die ihr solche Schmerzen bereiten, dass sie sich in der fünfminütigen Pause hinlegen muss. Sie ist sich bewusst, dass ihre Dozentin sie vermutlich für unhöflich hält, aber dieses Risiko muss sie eingehen, um die Vorlesung durchzuhalten. Ein anderer Mensch erzählt, wie er sich im Kino in die vorderste Reihe setzt und sich erst als es im Raum dunkel wird vorne mit einer Matte auf den Boden legt, um unbemerkt zu bleiben und nicht angesprochen zu werden.

Eine Person erzählt davon, wie sie sich zum Ausruhen während der Schule und der Arbeit auf dem Klo versteckt, um nicht gesehen und dafür verurteilt zu werden, eine andere Erzählerin ist während dem Laufen zusammengebrochen und konnte sich nicht mehr bewegen. Sie lag im Regen und rollte sich unter einen Busch. Als zwei Jogger*innen vorbeiliefen, versteckte sie sich dort und hielt den Atem an, damit sie bloß nicht bemerkt werden würde und sich erklären müsse.

Kreativität in der Horizontalen

Es sind nur eine Handvoll Geschichten von über 250, die Raquel Meseguer Zafe bisher von anderen Menschen mit Behinderungen und/chronischen Krankheiten gesammelt hat. Häufig arbeitet die Tanz- und Theaterschaffende, die in England lebt, mit Ruhen und Horizontalität als kreativen Impulsen. Oft beschäftigt sie sich mit den Erfahrungen, die Menschen mit unsichtbaren Behinderungen, chronischen Krankheiten und neurodiverse Menschen machen.

Sie geben einen Eindruck davon, wie schwierig es ist, einen Ort zum Ausruhen zu finden. Sie erzählen jedoch nicht nur von den physischen Barrieren, wie fehlenden Rückzugsorten oder Parkbänken, die das Liegen unmöglich machen. Sie zeichnen ein Bild von den Gefühlen und Ängsten. Von der Angst, sich erklären zu müssen, von der Scham, gesehen zu werden oder der Sorge, was die Menschen um einen herum von einen denken. Und von der Körperlichkeit und den physischen Empfindungen, welche das Ausruhen umranden und begleiten.

Während ich den verschiedenen Erfahrungen und den Klängen der anderen lausche, liege ich in meinem Sitzsack und denke über diese Aspekte nach. Als sich die Performance nach circa 40 Minuten dem Ende neigt, klingt nur noch die Musik. Einige der Teilnehmenden stehen bereits auf, manche schauen sich die Booklets an. Ich lausche noch ein wenig der Musik, die immer leiser und sanfter wird, dann beschließe auch ich mich aufzustehen. Während wir dieses Ausruhen in einem bequemen, geschützten Rahmen erleben durften, ist dies noch lange nicht allen möglich. Das wird mir beim Aufstehen besonders bewusst. Noch den ganzen Abend denke ich über die Erfahrungen, die ich hören durfte nach. Über die Barrieren, die wir im Alltag übersehen. Die Barrieren, die anderen Menschen durch die normative Gesellschaft in den Weg gestellt werden. Und über die Menschen die sich gerade in diesem Moment ausruhen müssen und auf solche Barrieren stoßen.