„Quest“ – was bedeutet das? Das Programmheft übersetzt es mit „etwas suchen“. Oder: „etwas erforschen“. Meine Erwartungen an den so betitelten Tanzabend vom Künstlerkollektiv Kornblum-Rettenmund beim Grenzenlos Kultur-Festival sind offen und voller Fragen: Wonach werden wir suchen? Was werden wir erforschen und warum? Wohin wird uns diese Suche führen?
Als ich das Glashaus betrete, ist der Boden der Bühnenfläche mit schwarzem Tüll bedeckt. Vorne rechts findet sich noch ein Haufen Tüll-Stoff. Sonst ist die Bühne leer. An zwei Seiten befindet sich je eine Stuhlreihe für das Publikum. Zu Beginn der Vorstellung wird es im Raum dunkel. Tamara Rettenmund betritt die Bühne. Sie trägt ein kurzes goldenes Kleid und ist barfuß, stützt sich mit den Händen an der Wand ab. Langsam und mit achtsamen Bewegungen hangelt sie sich daran entlang, stoppt immer wieder und verharrt einen Moment. Stehend, in der Hocke, ein Bein angehoben.
Von der Wand weg verlagern sich die Bewegungen dann hin zum mit Tüll bedeckten Boden. Es scheint, als bewege sich Rettenmund über ein schwarzes Nichts. Sie rollt mit dem Körper darüber, stoppt, pausiert, dehnt sich oder bewegt sich auf allen Vieren. Schließlich sammelt sie den Tüll vom Boden zusammen. Ein weiterer großer Haufen Tüll entsteht, der von ihr umarmt, betastet und schließlich getragen wird.
Der Tüll spielt eine tragende Rolle in der Performance. Tamara Rettenmund interagiert fast den ganzen Abend mit dem einzigen Material, das sich neben ihrem Körper auf der Bühne befindet. Welche Bedeutung könnte diesem Material zukommen?
Die Performance wird nur zu sehr geringen Teilen von Musik begleitet. Die meiste Zeit ist es auf der Bühne vollkommen still. Nur das angestrengte Atmen der Tänzerin ist zu hören. Die Aufmerksamkeit richtet sich allein auf sie. Nur eine Szene weicht davon ab. In dieser befindet sich Rettenmund am rechten vorderen Bühnenrand neben dem zweiten Tüll-Haufen, während auf der Rückwand verschiedene Begriffe wie „Mobilisation“, „sorgfältig“ und „Vierfach-Abdeckung“ oder Wortgruppen wie „vorsichtiges Darstellen“ und „engmaschige Überwachung des neurologischen Status“ projiziert werden. Stehen diese Worte für Vorgänge, mit denen sich Tamara Rettenmund regelmäßig auseinandersetzen muss? Die Begriffe werden nach und nach übereinander projiziert, bis man sie nicht mehr erkennen kann. Wort über Wort, ein Wortchaos – und dann wieder rückwärts bis zum ersten Wort zurück. Meine Aufmerksamkeit richtet sich wieder auf die Tänzerin, die sich in diesem Moment des Unbeachtetseins umgezogen hat. Das goldene Kleid ist einer schwarzen Hose und einem schwarzen Top gewichen und es scheint in der Performance ein neues Kapitel zu beginnen.
Im Programmheft wird die Inszenierung als “Held:innenreise” beschrieben. Aber trifft es der Begriff der Reise? Der Begriff Suche trifft es für mich eher. Eine Suche nach dem Selbst und nach den Kräften des eigenen Körpers Tamara Rettenmunds Bewegungen sind mal stark und selbstbewusst, wirken dann aber auch ganz zerbrechlich, wenn sie vor Anstrengung zittert. Sie versteckt die Anstrengungen nicht, die der Abend ihr abverlangt. Die Bühne ist nach allen Seiten hin offen. Es gibt für sie keine Möglichkeit, sich zu verstecken. So tastet sie sich durch und über die dunkle Bühne – und scheint gelegentlich Halt zu finden, am schwarzen Tüll.
Der Tüll ist wandelbar und beweglich. Ist er im ersten Moment nur die Bodenbedeckung, auf der die Tänzerin sich bewegt, so wird er im nächsten zu einer Art Bett, zu einem Anker, an dem sie sich festhalten kann oder zu einem Versteck, wenn der Tüll-Haufen ihren Körper vollständig umhüllt. Auch zu einer Robe oder einem Mantel kann er werden und ihren Körper abermals von einer anderen Seite zeigen.
Wohin aber hat uns diese Suche geführt? Was nehme ich als Zuschauerin aus dem Glashaus mit nach Hause? Ist es die Wertschätzung meiner Kräfte und Möglichkeiten, ein Bewusstwerden meiner körperlichen Grenzen? Tamara Rettenmunds Performance lässt mich nachdenklich zurück. Hört die Suche nach Kraft und Selbstbewusstsein irgendwann auf? Diese Frage wird mich noch eine Weile begleiten.