… nicht immer 100% geben zu müssen und sich Pausen zu gönnen. Angela Alves setzt sich in ihrer Soloperformance verbal und körperlich mit Lücken, Einschränkungen und Grenzen künstlerisch auseinander, ohne gegen sie anzukämpfen, sondern indem sie mit ihnen experimentiert.
„I am white. I am female. I am a single mother. I am a performance artist.“ So stellt sich Angela Alves dem Publikum im KUZ vor. Während sich das Publikum mucksmäuschenstill verhält, wird über Lautsprecher Gelächter nach jeder ihrer Aussagen eingespielt. Ihre Souveränität beeindruckt gegenüber dieser inszenierten, diskriminierenden Reaktionsmöglichkeit. Angela Alves nimmt sich Zeit und schreitet langsam durch ihre 60 Minuten Aufführungszeit.
Sanft und weich beginnt ihr Stück, vorerst ohne ihre leibliche Präsenz auf der Bühne. Stattdessen betrachtet man zwischen goldschimmernden Vorhängen eingerahmt eine Leinwand, auf der Ausschnitte eines Körpers zu sehen sind. Schulterblätter, die sich langsam bewegen. Fingerspitzen, die sacht über Oberarme streifen. Auf dem Rücken ist entlang der Wirbelsäule eine schwarze, gestrichelte Linie zu erkennen. Eine Anspielung auf Symmetrie und ideale Schönheitsbilder? Die Bewegungen werden größer und der Körper dehnt und strafft den hautfarbenen, durchsichtigen Stoff der sich wie eine zweite Haut um ihn schmiegt. Akustisch begleitet wird diese Eröffnungsszene von Gewittergeräuschen.
Dann taucht ein leerer Stuhl auf der Leinwand auf. Der eingeblendete Text stellt nacheinander zwei Personen vor: Den Fußballspieler Robert Schlienz, der 1948 bei einem Autounfall einen Arm verloren hat und aufgrund seiner Spielerqualitäten weiterhin im Team mitspielen durfte. Und Sarah Baartman, die 1810 aufgrund ihrer als besonders wahrgenommenen Anatomie aus Südafrika nach England gebracht wurde, um dort aufzutreten.
In diesem kleinen Kontext von diversen Körpern eingebettet tritt schließlich Angela Alves in einem hautfarbenen, fast durchsichtigen Body mit einem Stuhl vor den nun geschlossenen Vorhang und stellt sich selbst vor. Sie setzt sich allerdings nicht auf die Bühne, sondern davor, auf Augenhöhe mit dem Publikum. „You don’t have to scan my body. My disability is most of the time invisible.“ Ihre sanfte Stimme erklärt die verschiedenen, bekannten Verlaufsformen von Multipler Sklerose und inwiefern sich diese Krankheit bei ihr selbst bemerkbar macht. Aber sie macht auch auf die unbekannte Seite aufmerksam. „Nobody can explain this disease – isn’t it magic? Some magic in my body.“ Dann legt sie ihr Mikrofon zur Seite und stülpt sich eine vorgeformte, steife Armprothese über ihren linken Arm und kippt ihren Oberkörper langsam nach rechts und nach links, während ihre Stimme, getrennt von ihrem Körper, die Zuschauer weiterhin auf informative und ruhige Weise begleitet. Ihre eigene Bewegungstherapie – ein sanftes Angebot für ihre Muskeln, ihr Herz und ihren Kopf, anstatt sich dem Perfektionsdruck der Gesellschaft auszusetzen. Die Mischung aus sachlichem Vortrag und minimalistischen Bewegungen greift experimentell ineinander und verknüpft ebenfalls Bekanntes mit Unbekanntem.
Dabei erwischt man als Zuschauer zwischen den vielen dunklen Hinterköpfen der vorderen Reihen immer wieder nur vereinzelte Ausschnitte von ihr. So gleitet der Blick von ihrem Oberkörper, über ihre Hüfte, bis schließlich zu ihren Zehenspitzen, während sie sich langsam von ihrem Stuhl auf den Boden gleiten lässt. Diese Fragmentierung ist ungewohnt für das Gesamtbild-suchende Zuschauerauge, aber sie versinnbildlicht auch die Idee davon, Pausen und Lücken in der eigenen Wahrnehmung vielleicht auch einfach mal zu akzeptieren. Auch die weißen Schaumstoffwürfel, in die sie eine Weile später mit ihren Füßen schlüpft, bleiben dem betrachtenden Auge zunächst verborgen. Mit diesen verbildlichten Klötzen an den Beinen durchläuft sie Momente der Balanceschwierigkeit, der Anstrengung und bricht schließlich die metaphorische Schwere mit hopsender Leichtigkeit. Und wieder beeindruckt sie mit ihrer darstellerischen Souveränität, mit wenigen Bewegungen ein Angebot verschiedener Perspektiven auf körperliche Diversität zu eröffnen. Ihre Schatten begleiten sie an den Seitenwänden des Saals bei diesem tänzerischen Spiel.
„I was thinking about becoming a disabled scientist of dance theory instead.“ Diese Konsequenz zog sie aus schlechten Erfahrungen mit Choreografen, die das Risiko mit ihr zu arbeiten nicht eingehen wollten. Aber mit dem Tanzen hat sie zum Glück nicht aufgehört. Ihre musikalische Antwort, mit der sie das Publikum mit einem Strahlen im Gesicht in den Abend entlässt, lautet: „Rhythm is a dancer. It’s a soul companion. You can feel it everywhere.“ Ihr sanftes Angebot, sich mit souveräner Gelassenheit dem ganz eigenen Tempo hinzugeben, nimmt man inklusive Ohrwurm gerne mit hinaus in den Regen.