Stetigkeit und Unsicherheit: So stehen sich die beiden Inszenierungen “Metamorphosis” vom Hijinx Theatre und “Uncanny Valley” von Stefan Kaegi und Thomas Melle gegenüber. In einer Zeit ohne Gewissheit suchen sie neue künstlerische Formate, um der eigenen Arbeit zu Stabilität zu verhelfen und die Zuschauenden aus dem Alltag abzuholen.
Lockdown durch die Corona-Pandemie. Für viele Theaterschaffende stellt sich darauf die Frage: Was nun? Sie finden sich über Nacht ohne Job – wenn die Theater geschlossen sind, gibt es für sie keine Arbeit. Wie sie selbst mit dieser Situation umgehen kann, erarbeitet sich die inklusive Theatergruppe Hijinx Theatre aus Cardiff durch das Zoom-Webinar “Metamorphosis”, unter der Regie von Ben Pettitt-Wade. Das ist eine Inszenierung, bei welcher der Ausdruck “kafkaesk” wirklich greift.
Vor dem eigenen Bildschirm folgt man nicht nur einer Aufführung der Verwandlung von Gregor Samsa, frei nach der Erzählung von Franz Kafka, sondern auch vermeintlichen Probenprozessen und Auditions der Theatergruppe selbst. Dazwischen schaltet sich ein Barmann ein, dargestellt von Owen Pugh, welcher immer wieder Kontakt zu den Zuschauenden aufnimmt und sie animiert, selbst bei der Performance mitzuwirken. Gleich zu Beginn erhält die Performance so eine immersive Note.
19:00 Uhr: Owen Pugh begrüßt aus Wales, und steht doch, durch eine Fotomontage, virtuell vor dem Gebäude des Mainzer Staatstheaters. Er möchte uns selbst durch Mainz führen. Die Theatermagie macht es möglich. Dann wieder treffen wir Morgan Thomas im Wald, welcher den Regisseur mimt. Er erzählt von der tollen Nachricht, dass die Idee einer Zoom-Performance finanziert werden kann und somit auch umgesetzt. Er ist es auch, welcher die Auditions für die verschiedenen Rollen der “Verwandlung” durchführt.
Die Thematiken, mit welchen wir konfrontiert werden, treten teilweise klar zutage, in anderen Momenten sorgt die Vielschichtigkeit der Zoom-Performance für Uneindeutigkeit. So sehen wir uns mit Themen wie Kommunikationsschwierigkeiten und Ausschluss konfrontiert, wie wir sie selbst durch die Auswirkungen der Corona-Pandemie kennen gelernt haben. Bilder stocken – liegt das an der eigenen Internetverbindung oder ist das geplant? –, und die Performer sind zu Beginn auf stumm geschaltet. Zwei Spieler sind zudem mit Machtmissbrauch konfrontiert, mit der fehlenden Möglichkeit, Entscheidungen zu treffen. So beobachten wir zwischenzeitlich Morgan Thomas, der in seinem Büro auf dem Boden umherkriechen muss, während wir durch eine Umfrage darüber abstimmen, was er nun zu essen bekommen soll. Die Antwort fällt auf Currywurst, die er wie ein ausgehungertes Tier in sich hineinschlingt. So makaber dieser Akt scheinen mag, gleicht er jedoch der Sehnsucht nach Aufmerksamkeit und dem Wunsch nach etwas, das doch verwehrt bleibt. Doch man nimmt, was einem gegeben wird.
Noch ein anderer wird ausgeschlossen: Gareth, gespielt von Gareth John. Immer wieder versucht er zur Zoom-Performance hinzuzustoßen. Er wird von den anderen Ensemble-Mitgliedern gehört, aber nicht gesehen. Er wird vehement ignoriert und abgewiesen und ist erst zu Ende für den Zuschauer zu sehen. Verloren blickt er hin und her, auf der Suche nach der gewünschten Kommunikation. Vielleicht steht er für den Teil der Menschen, die einsam durch eine kontaktlose Zeit kommen müssen.
Trotz dem starken Spiel der Darstellenden scheint es dem Zoom-Webinar an einem klaren roten Faden zu fehlen. Verschiedene Ebenen, wie Interaktion mit dem Barman, Auditions und Probenprozesse sowie Beobachtungen durch eine zweite Kamera werden aufgezeigt, ergeben jedoch im gemeinsamen Zusammenspiel kein klares Bild und lassen die Performance wie einen Flickenteppich aus verschiedenen Blickwinkeln wirken.
Bereits vor dem Lockdown wurde “Uncanny Valley/ Undheimliches Tal” unter der Regie von Stefan Kaegi (Rimini Protokoll) und dem Schriftsteller Thomas Melle geschaffen und aufgeführt. Der Titel der Inszenierung knüpft an einen Ausdruck des japanischen Robotikers Masahiro Miro an. Er beschreibt das Phänomen wenn Androiden für unser Auge nicht ganz dem Bild eines Menschen entsprechen und somit ein Gefühl des Unbehagens hervorrufen. So wie Melles akribisch nachgebildetes, mechanisches Roboter-Ich, dass anstelle des Schauspielers auf der Bühne sitzt und mit seiner Stimme spricht.
Es erzählt von zwei Biografien: Seiner eigenen, der vom menschlichen Thomas Melle, und der von Alan Turing, dem Erfinder des Turing-Tests. “Melle 2” werde der Roboter mittlerweile vom Theaterteam genannt, erzählte Kaegi in einem Interview mit Deutschlandfunkkultur. Und so lebensecht wirkt dieser auch. Obwohl sein Hinterkopf bewusst das Innenleben erscheinen lässt, schafft es die Melle-Kopie doch, durch seine abgestimmten Bewegungen und die menschliche Stimme, das Gesamtbild zumindest momentweise stimmig zu machen.
Vor allem aber soll “Melle 2” Stetigkeit sichern. Eine Stetigkeit, welche der echte Thomas Melle durch seine manisch-depressive Erkrankung nicht immer ermöglicht ist. “Ich habe meinen Körper ausgelagert”, lautet die Devise. Die Technik ermöglicht es ihm, ein Stück seiner eigenen Körperlichkeit aufzugeben und den Roboter mit dieser auszustatten.
Im Laufe der Performance spricht der Roboter auch vom Selbstmord des Mathematikers und Informatikers Alan Turings und dessen leidvollen letzten Jahren. die Augen verschlossen. Empathie wird von ihm nicht gefordert, sondern sogar eher dem Zuschauenden entsagt, indem “Melle 2” auf die Empathielosigkeit von Robotern verweist und somit eine Grenze zwischen den Gefühlen von uns Menschen und seinen nicht vorhandenen zieht. Und trotzdem finden sich Momente der Betroffenheit. Denn es spricht immer auch Thomas Melle selbst, welcher uns auch für den Abend auf einer Leinwand verabschiedet und kurz vor dem Ende der Performance durch eine Videoaufzeichnung einige Worte an die Zuschauenden richtet. Es steckt ein Original hinter dem Roboter, nach welchem er geschaffen wurde. Und auch wenn die Frage im Raum steht, ob die Kopie es jemals schaffen sollte, das Original zu überwinden, ist es dem Zuschauenden gerade durch die gezeigten Aufnahmen des Schaffungsprozesses des Roboters bewusst, dass mehr Menschlichkeit in “Melle 2” steckt als Thomas Melle ihm vielleicht selbst zuspricht. So ist dessen Haut ein Ebenbild seines Originals, durch Abgüsse geschaffen, die Worte ausgestattet mit Pausen und Räuspern, und am Finger findet sich ein Ring, der fragen lässt: Mit wem ist “Melle 2” eigentlich verheiratet?
“Uncanny Valley” und “Metamorphosis”, so unterschiedlich sie auch sein mögen, verbindet das Thema von Körper und Technik auf einmalige Art und Weise. Sie zeigen, wie es die Technik schafft, ob im Webinar-Form oder in der Form eines Roboters, unsere eigene Körperlichkeit zu beeinflussen. So kann Thomas Melle sein Ich auslagern und für sich selbst eine bisher nicht gegebene Sicherheit schaffen. Hijinx Theatre schafft es, gerade im Blick auf die gefährdete Sicherheit der Theatergruppe, die eigene Körperlichkeit und Wirkungsbereich durch Kameras, Kameraeinstellungen und Effekte zu erweitern. Vielleicht ist es gerade das, was wir in dieser unsicheren Zeit für unsere Kunst und Kultur brauchen, um auch für die kommende Zeit neue Perspektiven aufzuzeigen.