„Kennen Sie den schon?“ Ein Mann kommt auf die Bühne und fordert die gesamte Aufmerksamkeit. Die Welt, in der er King ist, hat er sich selbst geschaffen. „Dieser Vorhang, diese Bühne, diese Gitarre hier – gehören mir. Hab ich bezahlt. War nicht billig.“ Für die Menschen, denen die Welt der Männer nicht gefällt, hat er natürlich einen Ratschlag parat: „Diese Tür hier gehört auch mir. Wenn ihr kein Bock mehr habt, dann könnt ihr da rausgehen.“
Die Dramaturgie von „Diane for a day“ gleicht einem Flachwitzmarathon. Immer neue Männerstereotypen und -situationen packen die Künstlerinnen von Theater Thiwka und hannsjana auf die Bühne. Und ja, das Meiste kommt einem, in abgeschwächter Version zumindest, bekannt vor. Der Philosophiestudent Jonas, der genug von Gendersternchen und Lohngleichheitsdiskussionen hat. Mark, der Startup-Unternehmer, der endlich ein frauengerechtes Bier in rosa Bambuskisten verkauft. Der Showman Michael, der die Frauen der Branche zwar ganz nett findet, aber aus rein künstlerischer Entscheidung doch der Meinung ist, man müsse ihnen zeigen, wo es lang geht. Dazu echte Männergespräche, vorgetragen in einer Mischung aus Rülpsdialogen und einvernehmlicher Phrasendrescherei – Gleichberechtigung fühlt sich manchmal eben einfach nicht richtig an.
Doch wann ist ein Mann ein Mann? Wenn er sich männlich verhält, anzieht, bewegt? Wenn er sich so verhält, anzieht, bewegt, wie unsere Gesellschaft denkt, dass Männer sich verhalten, anziehen, bewegen? Durch die grandios überspitzen Charaktere wird die Absurdität der Rollenidentitäten sichtbar und das sorgsam konstruierte Geschlechterverständnis beginnt zu wanken.
Was anfangs nach einer rein feministischen Sicht auf die patriarchale Gesellschaft aussieht, erweitert sich um eine intersektionale Ebene. Die Menschen ohne Behinderung werden genauso pauschalisierend zur Zielscheibe wie die Männer. Denn wenn ein Mensch ohne Behinderung die Welt erklärt, dann klingt das nach einem einzigen, unverständlich-schnellen Gebrabbel.
Thikwa und hannsjana porträtieren eine Gesellschaft, in der die Dominanzkultur – klischeehaft; alte weiße Männer ohne Behinderung – mehr Raum, mehr Entscheidungen und mehr Macht an sich reißen, als ihnen zusteht. Zu dem Manspreading und Mansplaining gesellt sich noch das Manswhining – der Schmerz in der Brust, der raus muss. Die Männergrippe, die mindestens 100 Mal so schlimm ist wie die Grippe der Frauen. Überwältigende, echte Männergefühle.
All diese Klischee-Männer werden von fabelhaften Frauen dargestellt, die der Thematik eine Drag-King-Verfremdung verleihen. Unterstützt werden sie dabei von zwei überdimensionierten Hirschköpfen aus Pappmaché, die das Imponiergehabe auf naturalistischer Ebene unterstreichen. Die herrlich überzeichneten Spleens der acht Männer werfen die Frage auf, wie Männlichkeit eigentlich entsteht. Durch ein Selbstbild? Durch Zuschreibungen? Durch die in der Gesellschaft verankerten und tradierten Rollenbilder?
Toxische Männlichkeit ist ein gelerntes Verhalten, wie die Schlusssequenz des Abends zeigt: Die Männer sind nach einem Grippeanfall zusammengebrochen. Doch sie verstecken sich nicht. Kein: Indianer weinen nicht, sondern ein Zusammen-ist-es-nicht-so-schlimm. Sie liegen gemeinsam auf der Bühne. Reden über Gefühle, bitten um Verzeihung, fragen nach der kranken Oma. Eine schöne, schmerzhafte Utopie. Schön, weil die Männer nicht stark und rüpelhaft sein müssen oder wollen oder sind. Schmerzhaft, weil schnell klar wird, dass das nur eine Utopie ist. Ein Wunschtraum, der den Abend nicht überleben wird.