In einem kleinen, leicht muffigen Raum stehe ich mit sieben anderen Personen verteilt, jeweils einen Arm gen Decke ausgestreckt. Die Aufgabe: Den Arm so langsam zu senken, dass er in genau einer Minute wieder am Körper anliegt. Ich versuche mir eine Strategie zu überlegen. Mitzählen wäre gut. Dann entscheide ich, mich ganz auf mein Bauchgefühl zu konzentrieren. Eine Minute. Die Stoppuhr startet. Ich schaue mich im Raum um. Wie schnell sind die anderen? Bin ich zu langsam? Es klingelt. Kein einziger Arm liegt am Körper. Eine Minute: Das ist schneller als man denkt. Wir starten einen zweiten Versuch, erreichen dasselbe Ergebnis.
Das wir Menschen oft Schwierigkeiten haben, Zeit richtig einzuschätzen, darum geht es im zweiten Workshop von Meine Damen und Herren aus Hamburg – sie haben sich für Freitag und Samstag unterschiedliche Programme überlegt. Zu Beginn bin ich nervös. Ich weiß nicht was mich erwartet. Die freundliche und willkommene Art der Workshopleiter Tim Borstelmann, Cornelia Dörr, Martina Vermaaten und Tom Reinecke nimmt mir jedoch bald jegliche Unsicherheit. In verschiedenen Übungen gehen wir dem Phänomen Zeit nach. So zeigt sich zum Beispiel, das Bühnenzeit stark von Zuschauerzeit abweichen kann.
Auf einer Leinwand sehen und hören wir Tim Borstelmann beim Flötenspielen. Es ist ein Auszug aus der Produktion Eins zu Eins aus dem vergangen Jahr. Derselbe Ton, mal kraftvoll, mal sanft geblasen. In Endlosschleife. Ich schweife mit meinen Gedanken ab, fühle den rauen Teppich unter meinen Fingerspitzen. Der Zuschauer Tim wird nervös, möchte die Aufnahme sogar abbrechen. “Das reicht doch jetzt”, erklärt er. Sieben Minuten dauerte das Spiel. Mir kam es kürzer vor.
Wir werden dazu aufgefordert, eine kleine Szene zu spielen. Dazu tut sich jeder von uns mit einem der Workshopleiter zusammen. Das geht genau auf. Einer spielt den Pizzaboten, der andere einen Kunden, der nichts bestellt hat. Wir haben eine Minute den Konflikt zu lösen. Dann dreißig Sekunden, fünfzehn, sieben, drei, zum Schluss nur noch eine. Die Szene soll dieselbe bleiben. Sie wird langsam aufs Wesentliche runtergrkürzt. Im ersten Durchlauf sind wir fast alle zu schnell oder zu langsam. Es braucht diese Erfahrung, um sich auf sein Gegenüber einzustellen, sich in derselben Zeit zu bewegen. Mit der Uhr im Nacken ist das nicht einfach. Hier zeigt sich, wie wichtig es ist, die unterschiedliche Zeitlichkeit verschiedenster Menschen zu thematisieren und in unseren Alltag mit einzubeziehen. Zum Schluss endet die Zeit zwar das Spiel, nicht aber seine Nachwirkung. Es wird viel gelacht und dafür gibt es dann keine Zeitbegrenzung.
Da wir alle hungrig sind, gehen wir nach dem Workshop noch gemeinsam Pizza essen. Eine besondere und schöne Erfahrung von ausgedehnter Zeit.
Das Kostüm ist noch nicht gebügelt, aber der Bus will für das Gastspiel in Mainz gepackt werden, Hektik in den Gängen. Und manchmal drehen wir uns in einer Endlosschleife von Vorgängen und die Zeit dehnt sich wie ein längst ausgekauter Kaugummi.
Danke Viktor für deine Beobachtung. Mir ist es eine Bereicherung Erfahrung in Workshops zu teilen – für einen lebendigen Austausch.
Das Symposium bescherte uns Gästen viele kluge und auch sehr einfache Einsichten zur Dramaturgie von Zeit – in der künstlerischen Arbeit wie auch der höchst eigenen Zeit.
Mainz, wir sind wieder auf dem Weg.