Ja, er hat das alles schon einmal erzählt. Gestern erst. Zwei mal. Später noch einmal, nachdem wir durch sind. Aber wir müssen uns keine Sorgen machen. Alles wird gut. Wir kennen das Ende der Geschichte. Es beginnt mit uns und ihm in einem kleinen Apartment in Mainz. 15 Leute scharen sich um ein Bett, in dem sich der Performancekünstler the vacuum cleaner räkelt.
“Mental” ist eine Ein-Mann Performance, die die Geschichte eines halben Lebens erzählt. Nicht das Ende, das ist offen. Sicherheit gibt es auch nicht. Denn im Zentrum der Erzählung steht nicht die Lebensgeschichte des Künstlers, welche er in Kranken- und Polizeiakten an die Schlafzimmerwand wirft. Sondern ein unmenschliches System, das die meisten von uns hinnehmen, obwohl es uns alle etwas angeht.
Das Thema zieht sich ja durch das gesamte Festival Grenzenlos Kultur: Wie gehen wir als Gesellschaft mit Menschen um, die von der Norm abweichen? Die Antwort ist seit Jahrhunderten die gleiche: Ausschluss. Nach einem Selbstmordversuch landet the vaccum cleaner 19-jährig in einer psychiatrischen Klinik, bleibt ein Jahr. Die Tage ziehen sich, aber sie weisen eine Struktur auf, geben Sicherheit. Es geht ihm langsam besser. Alles wird gut.
Alles? Nach der Entlassung wird er abhängig von Drogen, die Spuren führen direkt in die Psychiatrie. Das ist kein Einzelfall: Die Angst vor der Außenwelt und das Gefühl keinen Anschluss zu finden behindern.
Sein politischer Aktivismus und ein stabiler Freundeskreis führen schließlich bei ihm zu einem neuen Gefühl der Lebendigkeit, machen aber auch Angst. Dem Gefühl von Glück ist nicht zu trauen und so läuft the vacuum cleaner davon. Seine Polizeiakten zeugen von einer Realität, die der Dystopie aus Georg Orwells 1984 erschreckend nahe kommt. Und davon ist nicht nur the vacuum cleaner betroffen. Immer wieder schleusen sich Polizisten verdeckt in aktivistische Organisationen ein, machen es schwer, selbst dem engsten Kreis zu vertrauen. Es kommt zu einem Totschlag durch Polizeigewalt. So agieren Polizei und Psychiatrie als Einheit. Wer nicht still ist, muss stillgestellt werden.
The vacuum cleaner wählt seine Worte und das Setting bewusst. Das enge Schlafzimmer repräsentiert einen ganzen wiederkehrenden Lebensraum, Krankenzimmer, Obdachlosenwohnheim, nur gemütlicher. Seine Stimme ist ruhig und kontrolliert, jedes Lächeln und jede Betonung bewusst gewählt. Das verstört. Denn vor uns sitzt der Psychiatriepatient als Künstler, als Kunstfigur. Mit ohnmächtiger Wut, die sich in Zynismus niedergeschlagen hat, wirft er die Zeugen im Kampf gegen seine eigne Psyche und das System, das ihre Symptome nährt, vor unsere Füße: Akte um Akte, Tablettenschachtel um Tablettenschachtel. Und weist damit weit über sich hinaus.
“Mental” verdeutlicht in seiner Monotonie und endlosen Wiederholung – das Stück wird seit 2013 aufgeführt – den Zustand der Stagnation in unserem Umgang mit psychischen Behinderungen und zeigt: Es ist nicht alles gut.
Ich stimme der “Kritik” nicht zu aus eigenem Erleben der mutigen und zutiefst berührenden Performance. Seine begründete “Wut” ist mitnichten in ” Zynismus” umgeschlagen. Mit bewundernswert schwarzem Humor “entblößt” sich der hoch sensible Künstler als früherer Psychiatriepatient vor uns und läßt immer wieder Selbstironie und knochentrockenen Humor aufblitzen. James Leadbitter: Chapeau!