In sechs verschiedenen Vorträgen und sieben Workshops gingen wir zwei Tage lang der Frage nach, ob Zeit am Theater neu verhandelt werden sollte. Ist Inklusion im Theater unzeitgemäß, also “Out of time”? Oder ist nicht vielmehr das nicht-inklusive Theater “Out of time”?
Schon in der Einführung durch die Co-Kuratoren Noa Winter und Benjamin Wihstutz wird klar: Das geht uns alle etwas an. Denn Nicht-Behinderung bedeutet immer auch Nicht-Behinderung auf Zeit. Wir alle kommen früher oder später, temporär oder zeitlich unbegrenzt in die Lage, der gesellschaftlich vorgegebenen Zeitlichkeit nicht mehr folgen zu können. Ein besonderes Problem bieten Behinderungen, die nicht gleich zu erkennen sind, die es den Betroffenen jedoch schwer machen, zu planen oder pünktlich zu sein. Genau das wird aber unter anderem vom Theater verlangt.
Die Amerikanerin Carrie Sandahl beginnt ihren Vortrag mit der Erklärung des Begriffes Crip Time, der sich durch das Symposium zieht. Zwar trifft ihr Humor nicht den des deutschen Publikums, dafür wird der Vortrag durch interessante Beispiele aus der Theater- und Performancepraxis aufgelockert und anschaulicher gestaltet. Dieses Prinzip zieht sich durch das gesamte Symposium, das mit drei Vorträgen aus der Wissenschaft und drei aus der künstlerischen Praxis bestens besetzt ist.
So berichtet nicht nur Noa Winter von der neuen Zeiteinteilung, die das Leben mit chronischen Schmerzen verlangt. Auch die britische Künstlerin Raquel Meseguer, die sich wegen chronischer Schmerzen immer wieder in die Waagerechte begeben muss, kennt das Problem und greift es künstlerisch in ihren Arbeiten auf. Das Ziel: Menschen zu sensibilisieren. Wer auf einer Parkbank liegt, muss nicht gleich besoffen sein. Und wer kein ganzes Theaterstück lang sitzen kann, sollte trotzdem ins Theater gehen dürfen. Ihr Vortrag wirkt dabei besonders lebendig. Barfuß schlendert sie über die Bühne und fordert die Zuschauer auf, eine entspannte Position einzunehmen. Plötzlich wird man sich doppelt der eigenen, unbequemen Haltung bewusst.
Auf die Bedürfnisse Aller einzugehen erfordert jedoch viel Planung. Um den wichtigen Austausch mit anderen Ländern zu ermöglichen und Ideen von außen zu bekommen, wurden in diesem Jahr mit Carrie Sandahl, Raguel Meseguer und Ria Hartley gleich drei englischsprachige Künstler und Wissenschaftler eingeladen. Dies erfordert nicht nur eine Live-Übersetzung, sondern im Falle von Ria Hartley auch eine Live-Schaltung per Skype. Zum Glück versagte die Technik nicht und alles lief reibungslos – ein Lob an die Organisation.
Zum Vortrag von Ria Hartley hätte man sich jedoch wegen der krassen verhandelten Themen eine Trigger-Warnung gewünscht. Der von ihr vorbereitete Film wirkte wie ein künstlerisches Produkt, weniger wie ein Diskussionsbeitrag, fiel damit aus dem gegebenen Rahmen. Die körperliche Abwesenheit der Künstlerin ermöglichte zudem nur eine erschwerte Kommunikation beim Publikumsgespräch. So bleiben einige Fragen offen. Schade.
Am zweiten Tag plädiert die Dramaturgin Sandra Umathum für durchgehend offene Türen, die es Menschen, die aus verschiedensten Gründen nicht pünktlich sein können ermöglichen würden trotzdem am Theatergeschehen teilzunehmen. Das dies überhaupt verhandelt werden muss zeugt davon, wie unzeitgemäß unsere Theater sind. Anstatt starrer Konventionen wünscht man sich mehr Menschlichkeit. Dies zeigt sich auch am Film “Sechs RegisseurInnen – eine Republik” über das Projekt Freie Republik HORA, dem eine Diskussionsrunde folgt. Nur eine Woche wird den sechs Regisseur*innen, welche auch Schauspieler*innen bei HORA sind, für die Produktion ihres eignen Werkes zur Verfügung gestellt. Hier wünscht man sich mehr Zeit – und dass das Projekt weitergeht.
Ein besonderes Highlight waren die Workshops. Sie boten nicht nur Zeit, um die Informationsflut zu verarbeiten, sondern machten das Gesagte auch an praktischen Übungen greifbar. Gerade hier taten sich jedoch viele Probleme auf. Wer nur Englisch spricht, für den bot sich nur der Workshop von Raquel Meseguer an. Auch die kleinen Räume der Volkshochschule mit ihren rauen Teppichböden waren nicht besonders geeignet.
Enttäuschend waren die Teilnehmerzahlen. Hier hätte man sich größeres Interesse von außen gewünscht. Um am Theater etwas zu verändern braucht es nämlich nicht nur die Theaterschaffenden, sondern auch ein verständnisvolles Publikum. Und das darf nicht nur auf die Dauer und Räumlichkeit eines Festivals beschränkt bleiben.