Im Geldrausch

Am Ende gewinnt immer die Bank © Michiel Devijver

Nervös beobachte ich den Mann im Steve-Jobs Gedenkoutfit, der von Tisch zu Tisch geht und nachprüft, wie viel Umsatz wir, die Banker, gemacht haben. Gerade habe ich die letzte empfohlene Investition abgelehnt. Das wird von unserem Spielleiter sofort an den Steve-Jobs-Typ weitergegeben. Ich fühle mich schuldig, als er mich taxierend anblickt: “It is all about growth and making money.” Na gut, das habe ich schon ein paar Mal im Verlauf dieses interaktiven Theaterabends gehört. Genauso wie weitere Floskeln, die man sich so auch in einem Meeting der Wallstreet-Bosse vorstellen könnte. Doch obwohl ich es zeitweise vergessen habe – ich befinde mich nicht einer Macht- und Geld-Zentrale, sondern im U17 des Mainzer Staatstheaters. Das Licht ist gedimmt, der Raum ist kahl und schwarz. In der Mitte dreht sich eine vierseitige Anzeigetafel.

“£¥€$” heißt das Bankenspiel der belgische Gruppe Ontroerend Goed, die uns zu Mitspielern macht, big playern – und zum großen Zocken verführen will. Mit fünf anderen Teilnehmern sitze ich an einem halbkreisförmigen Tisch. Sechs identische Tische sind im Raum verteilt. Jeder davon stellt ein fiktives Land dar und jede Person eine Bank. Die Aufgabe ist es, dieses Land zum Wachsen zu bringen und unser Kapital durch Investitionen zu vermehren – ob sie gelingen oder scheitern, entscheidet der Würfel.

Ich bin erleichtert, dass der Erfolg mehr mit Glück denn Strategie zu tun hat, denn ich bin mit Abstand die schwächste Bank am Tisch. Der Spielleiter mit seiner geschäftsmäßigen Eleganz und routinierten Geschwindigkeit hat es auch gemerkt: Er ist nicht sehr zufrieden mit den sich daraus ergebenden wenigen Steuern, die es bei mir zu holen gibt. Auch er schickt mir einen anklagend strengen Blick herüber und den Kommentar, dass deshalb die Kulturbranche keine Unterstützung bekommen kann. In einem Raum voller Theaterwissenschaftsstudenten und anderer Kulturmenschen ergibt sich die Frage: Steigt die Temperatur im Raum deshalb stetig?

Wie steht’s um das Landes-Rating? © Michiel Devijver

Denn alle zehn bis fünfzehn Minuten bekommen wir die momentane Raumtemperatur (die angeblich stetig steigt) und die Uhrzeit durchgesagt, außerdem, welcher Tisch auf dem auf- bzw. absteigenden Ast ist. Im weiteren Verlauf kommt noch der Wert der landeseigenen Währung ins Spiel. In unserem Land “Great Detlef” – benannt nach einem der Teilnehmer – zirkuliert viel Währung vom orangenen Tisch. Unser Pech, denn der erlebt einen Crash, seine Währung ist wertlos und seine Banken werden fallengelassen – besser: ausgeknipst. Denn das Licht bei ihnen erlischt. Sie verschwinden in der Dunkelheit.

Plötzlich tritt Panik bei den sonst so cool und professionell wirkenden Spielleitern ein, sie versuchen verzweifelt, das gesamte System vor einem ebensolchen Crash zu bewahren, doch die Nachricht an uns Banker ist vernichtend: Der Fall ist unvermeidlich, wir müssen nur, versuchen es soweit hinauszuzögern wie möglich und der Bevölkerung unseres Landes vermitteln, sie hätten keine andere Option, außer dem bestehenden System zu vertrauen. Die Spielleiter stimmen in einem unheimlichen Singsang ein: “Do what you do best, make money”, die Würfel klackern ein letztes Mal und alle Lichter im Raum erlöschen.

Als alle zu einem begeisterten Applaus ansetzen, wird einem wieder bewusst, dass man trotz allem nur einer Theaterinszenierung beigewohnt hat. Theoretisch sind alle in der Runde mittlerweile Multimillionäre, dank der Inflation in unserer fiktiven Länderwährung ist das Geld aber nicht mehr viel wert. Was bleibt ist der tiefe Eindruck, Teil von etwas Abstraktem und Mächtigem und wiederum doch Fragilem gewesen zu sein. Teil von einem System, zu dem ich definitiv nicht dazugehören möchte – und das doch das Leben von uns allen mitbestimmt.