Im Ende ein neuer Mensch

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Drei gute Menschen? Juliana Götze, Nele Winkler, Zora Schemm als Besche-Schwestern © Melanie Bühnemann

 

Mit “Der gute Mensch von Downtown” mischt das Theater RambaZamba zum Festivalauftakt frei nach Brecht die Inklusionsdebatte auf

“Edel sei der Mensch, hilfreich und gut”, sagte einst Goethe. Doch was macht einen guten Menschen aus? Und was passiert, wenn dieser Mensch das Downsyndrom hat? Zur Eröffnung der 18. Ausgabe des Theaterfestivals Grenzenlos Kultur entführt uns das Theater RambaZamba aus Berlin mit seiner Inszenierung “Der gute Mensch von Downtown” in die Slums der Großstadt. Nebelschwaden ziehen durch den Raum, der Donner grollt durch die Boxen, Regen fällt wie Sternschnuppen als Lichtprojektion herab, untermalt von prasselnden Tönen. Die Bühne des Kleinen Hauses am Staatstheater Mainz hat sich in eine karge, ärmliche, mit weißen Planfolien überzogene Barackensiedlung verwandelt. Überall klebt Dreck. Die Menschen leben in engen Zelten wie Hunde in ihren Hütten.

Eine Welt aus Gier und Niedertracht

Durch diese Siedlung ziehen zwei Engel. Sie sind auf der Suche nach den letzten guten Menschen. Denn: Gott sind die Menschen lästig geworden, er will sie nicht mehr. Wie zwei große bizarre rotgefiederte Vögel zirpen und plustern sich Eva Mattes und Hans-Harald Janke durch das Herz der Stadt, deren Bewohner ihnen nicht helfen wollen. “Wir sind müde und es ist kalt” brüllen sie, während sie von ihrer Betreuerin durch Leistungsgesellschafts-Drill angeheizt werden. Ihr Außenseiter-Slogan: nicht auffallen, sich durchboxen, nichts kosten.

Tröstlich ist das für die Engel nicht, doch sie haben Glück: Drei Mädchen mit Downsyndrom gewähren den beiden Himmelsgesandten Unterschlupf und werden dafür mit einem Teehaus belohnt.  Statt der erwarteten Freiheit wartet eine desillusionierende Welt der Autonomie auf sie, in der Gier und Niedertracht herrschen.

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Erzengel auf Abwegen: Eva Mattes und Hans-Harald Janke © Holger Rudolph

Frei nach Bertolt Brechts Parabel “Der gute Mensch von Sezuan” stellt Regisseurin Gisela Höhne gängige Klischees auf den Kopf: Eigenverantwortung versus Abhängigkeit. Down(town)autonomie im Testlauf. Höhne entwirft hier keine neue Ordnung, sie zaubert die Magie eines Versuchs auf die Bühne. Denn bald stellt sich heraus, dass die Realität nichts mit dem Wunsch der Mädchen nach Freiheit zu tun hat. Vom zwielichtigen LimBim, der als grotesker Zirkusdirektor auftritt, werden sie als aufreizende Revue-Tänzerinnen vermarktet, denn: Downsyndrom liegt im Trend. Sie müssen die Miete für ihr Teehaus bei einer lärmenden, bunt gekleideten Dame mit Regenschirmhut bezahlen und durch die Ankunft ihrer WG-Freunde ist das Teehaus wieder überfüllt, lärmig;  erneut macht sich Armut breit.

Immer mit dabei: Luzifer, der von Gott nachgesandt wird und ganz im Sinne von Goethes Mephisto Befehle flüstert, freudig-verrückt tanzt und aus Harmonien Dissonanzen macht. Aus der Situation gibt es nur einen Ausweg: Als maskierte, schwarzgekleidete Krieger mit langen Stöcken wehren sich die drei Mädchen gegen die Ausbeutergesellschaft, sie stampfen, schreien, hauen, bis die Angst der Anderen ihre Gier, aber auch ihre Bedürftigkeit übertrifft. Hier wird mit dem Klischee aufgeräumt, dass Menschen mit Downsyndrom von Natur aus gute, fröhliche Menschen sind.

Am Ende bleibt die zentrale Frage offen

Die Inszenierung verbindet dabei ästhetisch scharfsinnig Volkstheater mit Brecht’schen Verfremdungen: Schauspieler*innen wenden sich ans Publikum, die Band begleitet mit schrägen Gassenhauern die Sprechgesänge der Downtownbewohner, die auf der runden Drehbühne in der Mitte herumtoben und zynisch die falsche Welt kommentieren. Höhne schafft es mit diesen Abstrahierungen souverän, komödiantische und tragische Elemente zu vereinen.

Immer wieder amüsieren und bewegen die jungen Schauspieler*innen mit ihrer selbstbewussten Darstellung. Zora Schemms Besche Zo etwa, die schluchzend am Boden liegt, nachdem Moritz Höhnes Musiker Lan sie verlassen hat. Oder Juliana Götze, die als böser Bruder bissig und wortgewandt mit einem Stock rumfuchtelt und Schmarotzer verjagt. Am Ende bleibt – wie bei Brecht  – die Frage offen, ob ein Mensch überhaupt vollkommen gut sein kann. Dass man die Welt nicht kampflos der Götter- und Teufel-Willkür überlassen kann, macht am Ende Mattes’ Erzengel deutlich: Er streift die Flügel ab und wird Mensch, um sich endlich einzumischen.